Wie geht man mit Trauer und Gefühlen der Leere an den Feiertagen um, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat? Tobias Rilling begleitet seit vielen Jahren junge Menschen und ihre Angehörigen bei der Trauerarbeit. Welche konkreten Tipps er für Weihnachten gibt.
Advent, Weihnachten, Jahresende. All das kann für Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben, und dessen Abwesenheit in jedem besinnlichen Moment schmerzlich spüren, kaum zu ertragen sein. Doch wie geht man auf gesunde Weise mit dieser Trauer vor und an den Feiertagen um?
Mit dieser Frage ist Tobias Rilling momentan ständig konfrontiert. Er ist Diakon und begleitet vor allem junge Menschen bei der Trauerarbeit. "Vor Weihnachten geht es vielen besonders schlecht", sagt er. "Wenn man eine geliebte Person etwa im November verloren hat, kann Weihnachten natürlich sehr traurig sein", sagt er.
Es gebe eine Trauerphase von etwa drei Monaten, in denen man sehr viel Schmerz empfindet und in der man den Tod auch noch schwer aufarbeiten kann. "Da hilft es nur, es auszuhalten, als aussenstehende Person da zu sein, zuzuhören."
Aber nicht nur, wenn man erst vor Kurzem jemanden verloren hat, sondern auch, wenn man in den besinnlichen Wochen an die, die fehlen, denkt, sei es wichtig, der Trauer genügend Raum zu geben. Was also, wenn ich mit Blick auf den Kalender ein komisches Gefühl bekomme?
"Auch wenn es ein mulmiges Gefühl ist, ist es nicht negativ. Man kann auf dieses Gefühl achten, ohne es zu bewerten. Es einfach wahrnehmen." Das bereichere das Leben, ist sich Rilling sicher. "Es geht darum, keine Angst vor dem zu haben, was man empfindet, auch nicht vor den mulmigen Gefühlen." Sie seien uns ungewohnt, weil wir nicht täglich den Tod vor Augen hätten. "Wir schieben dieses Thema weg, verbarrikadieren es in Krankenhaus oder ins Altersheim. Das ist kein guter Umgang mit Tod und Trauer."
Trauer an Weihnachten: Den Gefühlen Raum geben
Stattdessen empfiehlt Rilling, der Trauer auch vor und an den Feiertagen Ausdruck zu verleihen. Bei seiner Gruppenbegleitung backt er zum Beispiel gemeinsam mit den Kindern die Lieblingsplätzchen der Mama, des Papas oder der Schwester nach, die gestorben sind. Und wenn die Kinder dann ganz pragmatisch nach dem Rezept fragen, es eifrig nachbacken und später darüber sprechen, ob es vielleicht damals bei Mama deutlich besser geschmeckt hat und die Gemeinschaftsküche das reinste Chaos ist, dann sei das ein gesunder Umgang mit dem Tod, sagt Rilling. "Man hat beides dabei: Trauer, aber auch einen höllischen Spass – so trauern Kinder."
Gerade die Kleinen wünschten sich auch nach dem Verlust eines geliebten Menschen zu Weihnachten einen geschmückten Baum und Geschenke, sagt Rilling, der in seiner Einrichtung gerade 92 Familien bei der Trauer begleitet. Die Erwachsenen seien dann oft träge und trauten sich nicht, sich ihren Gefühlen hinzugeben – und auch den Kindern zu zeigen: Ich bin traurig und trauere jetzt.
Der Menschen gedenken, die nicht mehr da sind: Rituale für Feiertage
Was laut Rilling für alle Menschen unabhängig ihres Alters gilt: Man braucht Möglichkeiten des Ausdrückens statt des Unterdrückens. Dabei können Rituale zu Weihnachten helfen. Man kann eine Kerze entzünden, man kann der verstorbenen Person einen ehrenden Platz geben oder Dinge in Erinnerung tun, was er oder sie früher immer gemacht hat.
"Es geht darum, seine Gefühle zuzulassen. Kauft einen Baum, wie immer, schmückt ihn wie immer, backt die Lieblingsplätzchen von der Mama und wenn ihr dabei heult, was kann denn passieren? Was muss denn noch passieren, dass ihr eigentlich in eine emotionale Wallung geratet?"
Auch Rilling selbst musste vor vielen Jahren lernen, wie man auf gesunde Weise trauert. Im Gespräch nennt er ein Beispiel aus seiner Familie, das für ihn besonders eindrücklich symbolisiert, wie es sich mit Weihnachten und dem Trauern verhält: Einmal zeigte Rillings Vater ihm das Foto seines Weihnachtsbaumes, in dessen Mitte ein grosses Loch klaffte. "Mein Vater sagte, dass sie den Baum zuerst dekoriert hatten und dann einen Ast abgeschnitten und auf das Grab gelegt hatten", erinnert sich Rilling. "So wie der Baum, so fühlen wir. Da ist etwas nicht ganz, sondern zerrissen."
Diesen Umgang mit Trauer, aber auch mit Freude, nennt der Experte proaktive Trauerarbeit. "Dann ist es ein paar Stunden oder in diesem Moment am Friedhof traurig. Das gehört dazu. Und dann darf man aber auch wieder Freude an Weihnachten finden und haben."
Über den Gesprächspartner
- Tobias Rilling ist evangelischer Diakon und leitet das Zentrum LACRIMA, ein Zentrum für trauernde Kinder der Johanniterunfallhilfe im Regionalverband München. Er begleitet und betreut trauernde Familien in Gruppenangeboten oder Telefonsprechstunden und gibt Seminare.
Verwendete Quellen
- Videointerview mit Tobias Rilling
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.