• Nach wie vor halten sich viele Menschen an Corona-Schutzmassnahmen wie Abstand halten und Maske tragen, aber die Tendenz geht nach unten.
  • Aus psychologischer Sicht ist das verständlich, vernünftiger wäre es aber, noch eine Weile vorsichtig zu bleiben.
  • Geimpfte haben einen sehr guten Schutz auch gegen die Delta-Variante, sollten aber auch an die Ungeschützten, zum Beispiel die Kinder, denken.

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Es ist mehr als nur ein Gefühl, dass sich nach anderthalb Jahren Pandemie langsam immer weniger Menschen an die empfohlenen Schutzmassnahmen halten. Abstand halten, Hygieneregeln beachten, im Alltag Maske tragen, die Corona-App nutzen und in Innenräumen regelmässig lüften (AHA+A+L) - laut der aktuellen Cosmo-Studie der Universität Erfurt wird all das nicht mehr so häufig beachtet wie noch vor ein paar Monaten.

Zwar gaben in der Befragung immer noch zwischen 70 und 90 Prozent der Befragten an, die Schutzmassnahmen häufig oder immer zu ergreifen. Aber zum Beispiel beim Abstand halten geht die Kurve seit Mitte August ziemlich deutlich nach unten. Am stabilsten und höchsten ist der Wert beim Maske tragen - allerdings nicht, wenn es ins Private geht. Bei privaten Treffen mit mehr als zehn Leuten trägt nur noch ein Drittel der Befragten Maske, bei beruflichen Meetings sind es hingegen mehr als zwei Drittel.

Treffen unter Geimpften: Rational vs. emotional

Für viele Menschen dürften sich diese Zahlen mit ihren Erfahrungswerten decken. Den Satz: "Du, wollen wir nicht mal die Maske abnehmen?" haben in letzter Zeit bestimmt viele gehört - oder auch gesagt. Vor allem, wenn alle Anwesenden vollen Impfschutz haben, sollte das doch eigentlich kein Problem sein, oder?

Interessant ist aber, dass es im privaten und im beruflichen Umfeld offensichtlich eine andere Risikowahrnehmung gibt, und die Frage "Trage ich eine Maske oder nicht?" nicht nur auf Vernunftbasis getroffen wird. "Menschen treffen Entscheidungen auf zwei Ebenen: der rationalen und der emotionalen", sagte die Psychologin Julia Scharnhorst im Gespräch mit unserer Redaktion.

Bequemlichkeit und sozialer Druck

Die Entscheidung, unter Freunden oder Familie keine Maske zu tragen, ist demnach eher eine emotionale. "Das sind Menschen, die einem vertraut sind, denen man nah sein will - und da stört die Maske ja tatsächlich: Man kann einander nicht so gut sehen und verstehen." Dazu kommt das Gefühl, dass das Leute sind, die einem nichts Böses wollen und dass man da (gefühlt) doch eigentlich gar keine Schutzmassnahmen braucht.

Nicht selten gibt es zudem gerade im privaten Umfeld eine gewisse Erwartungshaltung, die Maske nicht mehr zu tragen. "Sorgloses Verhalten ist 'ansteckend'", sagt Julia Scharnhorst. "Im Zweifelsfall siegen die eigene Bequemlichkeit und der soziale Druck."

Geimpfte können andere anstecken

Scharnhorst plädiert sehr dafür, dass nicht nur ungeimpfte, sondern auch geimpfte Menschen sich weiter an Schutzmassnahmen halten. "Wir können noch nicht abschätzen, wie lange der Impfschutz hält", gibt sie zu bedenken und fragt sich ausserdem, wo der Gedanke der Solidarität geblieben ist. "Zum Beispiel gegenüber den Kindern, die noch nicht geimpft werden können. Klar, die meisten kleinen Kinder haben keinen schweren Verlauf. Aber je mehr Kinder insgesamt erkranken, desto mehr schwere Verläufe gibt es."

Dass auch Geimpfte sich anstecken und die Infektion übertragen können, gilt als sehr wahrscheinlich. Auch wenn sie selbst in den allermeisten Fällen gar nichts oder wenig von der Infektion merken, weil laut mehreren Studien der Impfschutz greift und die Viren unschädlich macht, können sie Viren an andere Menschen abgeben - nicht so häufig wie Ungeimpfte, aber auch nicht nie.

Impfschutz auch gegen Delta sehr gut - aber nicht unendlich

Es kommt auch vor, dass Geimpfte selbst erkranken. Das sind die sogenannten Impfdurchbrüche, von denen der Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast "Coronavirus-Update" aber sagte, dass das extrem selten vorkomme. Trotzdem kann es nach wie vor auch zum Selbstschutz dienen, eine Maske zu tragen. Zumal die Delta-Variante, die in Deutschland inzwischen die vorherrschende ist, nach Studienlage kränker macht und ansteckender ist als die Varianten davor.

Wobei klar zu sagen ist: Die Impfung hilft auch gegen diese Variante sehr, sehr gut. "Das ist ein Superschutz, auch gegen Delta", sagte Drosten. Ein Schutz, der laut dem Virologen bei einem gesunden Menschen auch mindestens sechs Monate auf hohem Niveau anhält. Bei älteren, kranken Menschen lässt er allerdings nach dieser Zeit besonders stark nach. Auch diese Menschen brauchen unter Delta besonderen Schutz - zumal bei dieser Variante laut einer Studie der Übertragungsschutz nach einer Impfung noch schneller verschwinde, sagte Drosten. Das heisst: Eine Übertragung ist trotz Impfung relativ schnell wieder möglich.

Delta-Variante des Coronavirus setzt die Wirkung von Impfstoffen herab

Die Delta-Variante des Coronavirus setzt die Wirkung von Impfstoffen herab. Das ist aus entsprechenden Studien bekannt. Eine weitere Analyse ergab nun, dass eine Infektion mit der Virus-Variante bei vollständig Geimpften eine vergleichbar hohe Viruslast auslöst wie bei Nichtgeimpften.

Virologin Ciesek: "Die Pandemie ist noch nicht vorbei"

"Wir haben immer noch keinen Impfstoff für Menschen unter zwölf, also für die Kinder. Wir wissen noch nicht alles über die Dauer der Immunität. Jetzt kommt noch die Saisonalität hinzu, also das Wetter wird schlechter, wir gehen wieder mehr in Innenräume. Das alles spricht dafür, dass die Pandemie natürlich noch nicht vorbei ist", fasste die Virologin Sandra Ciesek von der Uniklinik Frankfurt im "Coronavirus-Update" die aktuelle Lage zusammen.

Wer also Probleme hat, sich mit seinen eigenen Sorgen gegenüber Freunden oder Kollegen durchzusetzen, sollte es auf jeden Fall trotzdem weiter versuchen. Dazu gehört eine klare innere Haltung zu den Fragen: Will ich selbst Maske tragen? Will ich, dass die anderen es tun?

"Wenn man das möchte, sollte man es ansprechen - und zwar am besten bereits vor einem Treffen", rät Julia Scharnhorst. "Man könnte zum Beispiel sagen, dass man sich Sorgen macht, um sich selbst und um andere, und dass man zumindest noch bis zum Frühjahr bei solchen Treffen Maske tragen möchte." Gute Freunde sollten dafür Verständnis aufbringen.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit der Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Public-Health-Expertin (Schwerpunkt Gesundheitsmanagement) Julia Scharnhorst
  • NDR-Podcast "Coronavirus-Update", v.a. Folgen 97 und 100
  • Cosmo-Studie vom 5./6. Oktober 2021
  • Studie zur Immunität nach Impfung der Charité: "Long-term immunogenicity of BNT162b2 vaccination in the elderly and in younger health care workers"
  • Studie (Pre Print) zur Übertragung durch Geimpfte der Universität von Oxford: "The impact of SARS-CoV-2 vaccination on Alpha & Delta variant transmission"
  • Website der Bundesregierung "Zusammen gegen Corona"
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