Weinen wird immer noch häufig als Zeichen von Schwäche angesehen. Und das, obwohl es für die mentale Gesundheit sehr wichtig ist. Es gibt jedoch Situationen, in denen man es sich doch besser verkneifen sollte.
In Grimms Märchen heilen Rapunzels Tränen die erblindeten Augen ihres Prinzen und in J.K. Rowlings "Harry Potter"-Reihe haben Phönixtränen Heilkräfte. Doch wie sieht es in der Realität aus? Kann Weinen wirklich heilen?
"Jein", sagt Andreas Jähne, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Baden-Württemberg. "Man muss unterscheiden zwischen Tränenfluss und Weinen: Wenn uns die Tränen in die Augen schiessen, zum Beispiel wenn es windig ist, dann ist das ein Reflex - also eine Schutzfunktion. Tränen halten das Auge feucht und schützen es vor Fremdkörpern. Dass in den Tränen irgendeine Substanz enthalten ist, die Wunden heilt, ist ein Irrglaube."
Das Weinen hingegen ist Ausdruck eines psychischen Vorgangs - und hat durchaus positive Effekte auf unsere Gesundheit: "Weinen fördert die Freisetzung von Endorphinen, die als natürliche Schmerzmittel wirken." Studien zeigen zudem, dass Weinen die Produktion von Immunzellen anregt und den Körper widerstandsfähiger gegen Krankheiten macht, berichtet der Facharzt.
Vor allem für die Seele ist Weinen ein Wundermittel: Das Zulassen von Tränen ermöglicht es uns, negative Emotionen wie Traurigkeit oder Frustration auf gesunde Weise auszudrücken. Schmerzvolle Erinnerungen werden verarbeitet und emotionale Spannung abgebaut. "Weinen kann ein wichtiger Schritt zur emotionalen Heilung sein, da es hilft, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten", sagt Jähne.
Niemand ist gerne die "Heulsuse"
Als Baby kommunizieren Menschen hauptsächlich über das Weinen: Es signalisiert anderen, dass man Unterstützung oder Trost braucht. "Weinen, als Ausdruck einer Emotion, tun nur wir Menschen - und ist ein Mittel der sozialen Kommunikation", sagt der Experte. "Wir teilen dem Gegenüber mit, wie es uns geht." So fördert das Weinen soziale Bindungen durch die Freisetzung von Hormonen wie Oxytocin, das oft als "Bindungshormon" bezeichnet wird.
Stereotype darüber, wer (viel) weint und wer nicht, führen laut Jähne dazu, dass Menschen ihre Tränen unterdrücken. Frauen zeigen eher ihre Emotionen, während Männer oft stark wirken wollen. Die "Heulsuse" oder der Spruch "Echte Männer weinen nicht" sind als Stereotype tief in unserer Gesellschaft verankert. Weinen werde hier oft als Zeichen von Schwäche interpretiert, besonders in Konfliktsituationen: "Wer zu viel weint, wird häufig auch als unreif oder unangemessen wahrgenommen."
Unterdrücktes Weinen kann krank machen
Dann Tränen besser unterdrücken? Nein, denn das kann erhebliche negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit haben. Jähne macht das mit einem Vergleich deutlich: "Wenn ich ständig das Weinen unterdrücke, ist das wie ein Ball, der unter Wasser gedrückt wird, der irgendwann an die Oberfläche ploppt."
Ständiges Zurückhalten von Gefühlen und Tränen kann physische Symptome wie Kopfschmerzen und erhöhten Blutdruck hervorrufen oder sogar Herzprobleme verursachen.
Auch die mentale Gesundheit leidet: "Das Nicht-Zulassen von Tränen kann zu einer emotionalen Blockade führen", sagt Jähne. Wer nicht weint, riskiert, emotionale Probleme zu verschärfen. Depressionen oder andere psychische Erkrankungen können eine Folge sein.
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Wer daran gewöhnt oder erzogen wurde, nicht zu weinen, bekommt auch soziale Probleme: "Dauerhaftes Unterdrücken von Weinen und anderen Emotionen kann zu emotionaler Kälte, Verlust an Empathie und geringem Mitgefühl führen", so der Facharzt.
Wann Weinen schlecht ankommt
In manchen Situationen aber sollte man das eigene Wasserwerk lieber unter Kontrolle haben, empfiehlt Jähne.
Besonders im beruflichen Umfeld könnte Weinen die eigene Glaubwürdigkeit und Autorität infrage stellen. Wenn beispielsweise ein Staatsoberhaupt öffentlich über ein Tierfoto weint, könnte das irritierend wirken.
Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen könne Weinen unterschiedlich aufgenommen werden und Missverständnisse hervorrufen, wenn es als manipulative Taktik oder emotionale Überforderung interpretiert wird.
Wie weint man richtig?
Doch wie und wann weint man dann richtig? "Zuerst sollte man sich bewusst werden, was man fühlt, und diese Gefühle akzeptieren, anstatt sie zu verdrängen", rät der Experte. Dieser Prozess erfordere Mut, doch "das Zulassen von Gefühlen ist ein gesunder und natürlicher Teil des Lebens".
Eine sichere und private Umgebung kann laut Jähne hilfreich sein: "Bei Freunden oder Familie fällt es oft leichter, sich zu öffnen und die Tränen fliessen zu lassen." Emotionale Auslöser wie traurige Musik oder emotionale Filme können aktiv genutzt werden, um Tränen zu lockern. "Auch tiefes und bewusstes Atmen kann helfen, den Körper zu entspannen und emotionalen Stress abzubauen."
Wer sich lieber mit einem Experten unterhalten möchte, kann sich professionelle Unterstützung holen: "Eine Therapie kann wertvoll sein, um emotionale Blockaden zu erkennen und zu lösen." (dpa/mak)
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