Gleichberechtigung bleibt auch 100 Jahre nach der Einführung des Internationalen Frauentags eine Baustelle. Wie Gender Care Gap, Mental Load und stereotype Rollenbilder Frauen weiter belasten.

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Seit über 100 Jahren gibt es den Internationalen Frauentag - und doch ist echte Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht. Frauen leisten weltweit nach wie vor den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit, verdienen im Durchschnitt weniger als Männer und sind überproportional von Gewalt betroffen. Themen wie der Gender Pay Gap, der Gender Care Gap und Mental Load zeigen, dass Gleichstellung nicht nur eine Frage von Gesetzten ist, sondern das Problem tief in gesellschaftlichen Strukturen verankert bleibt.

Wie kann der 8. März mehr sein als nur ein symbolischer Feiertag? Laura Fröhlich, Autorin von "Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles!" (Penguin), spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news darüber, welche Veränderungen nötig sind, damit Frauen nicht immer wieder in traditionelle Rollen gedrängt werden.

Den Internationalen Frauentag gibt es seit 1911. Vor dem Gesetz haben wir eigentlich Gleichberechtigung. Warum brauchen wir ihn mehr als 100 Jahre später immer noch?

Laura Fröhlich: Weil Gleichberechtigung leider noch lange nicht erreicht ist. Frauen übernehmen zum Beispiel weltweit und auch bei uns im Land noch immer den grössten Teil der Care-Arbeit, also der unbezahlten Fürsorge-Arbeit. Das hat Auswirkungen auf ihre beruflichen Karrieren und ihre Gesundheit. Wir haben neben dem Gender Pay Gap also immer noch einen grossen Gender Care Gap.

Wie schaffen wir es, dass der 8. März nicht nur ein Symbol ist, sondern zu echter Veränderung führt?

Indem wir aufmerksam machen auf den Wert von Fürsorge-Arbeit und das, was Frauen jeden Tag leisten. Die Forderung, Frauen Männern endlich gleichzustellen, und zwar nachhaltig, sollte nicht auf den Tag beschränkt sein, sondern sich durch das Jahr hindurchdurchziehen. Vor allem von den politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen wünsche ich mir hier einen Fokus auf Gleichberechtigung.

Welche Themen müssen am Weltfrauentag noch mehr in den Mittelpunkt rücken?

Die mentale Belastung von Frauen, aber vor allem die Gewalt, der Frauen auf der Welt ausgesetzt sind. Ich wundere mich, dass die Femizide hier in Deutschland so wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Warum bleibt Mental Load in Beziehungen oft Frauensache? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Dass in unserer Gesellschaft eine strukturelle Belastung von Frauen einfach so hingenommen wird. Und das auch in privaten Beziehungen. Manche Männer haben sich daran gewöhnt, dass ihre Partnerinnen Arzttermine organisieren, Einkaufslisten schreiben und Geschenke besorgen. Damit das so bleibt, tun manche von ihnen die kognitive Arbeit, die damit verbunden ist, ab. Das ist natürlich bequem, führt aber langfristig zu schlechter Stimmung und Mental Load bei ihr. Und ich nehme wahr, dass sich immer mehr Frauen überlegen, sich zu trennen, wenn der Partner nicht bereit ist, über eine andere Arbeitsteilung zu reden.

Warum fällt es uns so schwer, Care-Arbeit als echte Arbeit anzuerkennen?

Weil diese in einem kapitalistischen System auf den ersten Blick keinen "Gewinn" erbringt. Dem ist selbstverständlich nicht so, denn Erwerbsarbeit ist nur möglich, wenn sich auch um Kinder, alte und kranke Menschen gekümmert wird. Diese substantielle Arbeit abzuwerten, hält das System aufrecht.

Welche strukturellen Veränderungen braucht es, damit Frauen nicht immer wieder in traditionelle Rollen gedrängt werden?

Aufklärung schon in Kitas und Schulen über stereotype Rollenbilder. Stärkung von Fürsorglichkeit speziell bei Jungen und jungen Männern und eine ausreichende und hochwertige Kinderbetreuung. Ich würde auch das Elternzeitsystem nach schwedischem Vorbild ändern. Den Höchstbetrag an Elterngeld gibt es dann, wenn sich die Eltern die Elternzeit untereinander aufteilen. Eltern, die sich das nicht leisten können, sollten einen finanziellen Zuschuss bekommen.

Was würde sich ändern, wenn Männer gleichberechtigt die Verantwortung für Care-Arbeit übernähmen?

Ich denke, dass Care-Arbeit dann mehr Wertschätzung erhält. Immer dann, wenn Männer eine Arbeit übernahmen, war sie auf einmal wertvoll und wurde besser bezahlt. So war es auch mit der Programmierung von Computern. Seitdem mehr Frauen in der Zahnmedizin arbeiten, sinkt wiederum der Lohn für Zahnärzte und Zahnärztinnen. Daran sieht man, dass wir immer noch in patriarchalen Strukturen leben. Wenn Männer mehr Care-Arbeit übernehmen, werden sie am Ende ihres Lebens nicht bereuen, so wenig Zeit für die Familie gehabt zu haben. Und Frauen wären endlich entlastet, um ihrem Beruf, politischen oder künstlerischen Karrieren nachzugehen - und endlich mal auszuruhen. (ncz/spot)

Über die Gesprächspartnerin

  • Laura Fröhlich ist Speakerin, Autorin und beschäftigt sich mit Themen wie Mental Load und Care-Arbeit.

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