Fressen und gefressen werden ist im Tierreich ganz normal – doch eigentlich nur in der freien Wildbahn. Wissenschaftler und Zooexperten argumentieren jedoch, dass das Töten und anschliessende Verfüttern der Tiere auch in Einrichtungen wie Zoos dem Artenschutz diene.

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Triggerwarnung: In diesem Text geht es um das Töten von Tieren und um ihre Verfütterung. Es werden auch entsprechende Fotos gezeigt.

Der Tod ist im Tierreich die natürliche Form des Populationsmanagements. Doch in Zoos und Tierparks drohen weder Futtermangel noch Fressfeinde. Auch dank tierärztlicher Versorgung haben viele Tiere – im Vergleich zu wildlebenden Artgenossen - eine deutlich höhere Lebenserwartung. Doch die Einrichtungen können eingreifen und Tiere aus einer Gruppe oder Herde nehmen - auch indem sie sie töten.

Sie müssten es sogar - aus Gründen des Artenschutzes, argumentieren zwölf Wissenschaftler und Zoo-Experten in einem jüngst veröffentlichten Beitrag in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" ("PNAS"). Artenschutz ausserhalb des eigentlichen Lebensraums - ex situ - gelinge nur durch Management der Bestände. Diese müssten in der Lage sein, sich auf gesunde Weise zu vermehren. Gesetzgeber und Zoos sollten Strategien zum Managen von Zootierpopulationen überdenken, appellieren die Autoren.

Die "Species Survival Commission" der Weltnaturschutzunion IUCN betont in einem Positionspapier die Rolle botanischer Gärten, Aquarien und Zoos für den Artenschutz. An der Schnittstelle zwischen Arterhaltung inner- und ausserhalb der eigentlichen Lebensräume arbeiteten sie etwa zu Genetik, Tierhaltung, Verhaltensforschung, Veterinärwissenschaft sowie zur Wiederan- und Umsiedlung von Wildtieren. Die Autoren des Fachbeitrags verweisen darauf, dass in der Roten Liste der IUCN die Ex-situ-Erhaltung durch Zucht in Gefangenschaft als wichtige Erhaltungsmassnahme für 2.762 Tierarten genannt werde.

Tötungen lösen Shitstorms aus

Doch Tötungen von Zootieren lösen immer wieder Debatten und Shitstorms aus. Einer der bekanntesten Fälle der vergangenen Jahre war wohl die Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo 2014. Aber auch in Deutschland ist das Thema: So wehrte sich der Leipziger Zoo 2023 gegen Kritik, als ein geschlachteter Zebra-Hengst vor Publikum an Löwen verfüttert wurde. Der Karlsruher Zoo wiederum hat seinen Eisbären schon Wisentfleisch aus eigener Zucht gegeben.

Löwe im Zoo bekommt Giraffe als Mahlzeit
Ein Löwe labt sich am 9. Februar 2014 im Kopenhagener Zoo an den Überresten der zweijährigen Giraffe Marius, nachdem das Tier am selben Tag eingeschläfert worden war. © dpa / Kasper Palsnov/EPA

Der dortige Zootierarzt Marco Roller, Co-Autor des "PNAS"-Beitrags, nennt als Vorteil, dass Zootiere bis zur Tötung ein sehr gutes Leben hatten. Das sei beim Zukauf von Tierkörpern nicht immer garantiert. "Bei der Verfütterung von getöteten Zootieren an andere Zootiere können zudem Ganzkörperfütterungen ermöglicht werden."

"Breed and Feed" (deutsch: züchten und füttern) heissen solche Programme, mit denen ein Zoo in Deutschland dem Artikel zufolge bis zu 30 Prozent seines Fleisches aus der eigenen Einrichtung bezieht. Das sei auch nachhaltiger.

Für den Artenschutz töten Zoos Tiere und verfüttern sie
Das Foto zeigt einen Eisbären im Zoo Karlsruhe, der den Kopf eines im selben Zoo gezüchteten Wisents frisst. Aus der Wisentherde wurden zudem in den vergangenen vier Jahren drei Tiere in Auswilderungsprojekte abgegeben. © dpa / Maike Kindinger/Zoo Karlsruhe

Gibt es denn keine Alternativen zum Töten?

Sollte man das Zeugen von Nachwuchs nicht besser verhindern? Die Aufzucht von Jungtieren sei ein elementarer Bestandteil im Leben sehr vieler Tierarten, erklärt Roller. Diese sei durch andere Beschäftigungen nicht zu ersetzen. Marcus Clauss von der Uni Zürich und Hauptautor des "PNAS"-Artikels betont: "Nachzucht zu verhindern, verwehrt erwachsenen Tieren die Erfüllung eines ihrer grundlegenden evolutionären Triebe."

Der Platz in den Zoos sei aber oft erschöpft. Auswilderungen kämen zumindest bisher nur selten infrage und bedürften einer langen Planung und Vorarbeit.

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Vor dem Problem steht auch der Tiergarten Nürnberg, der aus Platzmangel seine Paviangruppe um rund 20 bis 25 Tiere reduzieren muss. "Ob Tiere getötet werden müssen, hängt von den Abgabemöglichkeiten ab", teilt der stellvertretende Direktor des Tiergartens, Jörg Beckmann, mit. Aktuell gebe es zwei Abgabemöglichkeiten, die der Europäische Zooverband EAZA beziehungsweise das Europäische Erhaltungszuchtprogramm EEP prüften.

"Das klingt natürlich irgendwie doof", hatte Zoodirektor Dag Encke in der "Zeit" eingeräumt, "wir töten Tiere für den Artenschutz". Der Tiergarten verweist darauf, dass die Weltnaturschutzunion IUCN Guinea-Paviane als potenziell gefährdet einstuft. "Es dient dem Überleben der Art, dass in menschlicher Obhut eine Population erhalten wird, die die Basis für Auswilderungen bilden kann, wenn es irgendwann geschützte und dafür geeignete Räume gibt."

Peta: Gerede von Artenschutz sei ein Vorwand

Tierschutzaktivisten von Animal Rebellion protestierten vergangenes Jahr gegen die Nürnberger Pavian-Pläne, einige ketteten sich mit massiven Eisenketten an ein Tor des Tiergartens. "Affen haben das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit – genau wie wir", hiess es in einer Mitteilung. Statt Tiere einzusperren, sollten natürliche Lebensräume geschützt werden.

Die Tierrechtsorganisation Peta kritisiert, das "Gerede vom Artenschutz" sei nur ein Vorwand, um Besuchende zu beruhigen. "Die Auswilderung der Tiere ist gar nicht vorgesehen und oft auch nicht möglich, da die Tiere in Gefangenschaft wichtige Verhaltensweisen, die sie für das Überleben in Freiheit benötigen, nicht lernen." Man solle daher keine Zoos besuchen.

3.000 bis 5.000 gesunde Tiere werden laut dem Deutschen Tierschutzbund schätzungsweise jährlich in europäischen Zoos getötet. Er kritisiert unter anderem, die Einrichtungen würden dies nicht transparent kommunizieren.

Widerstand kommt nur bei bestimmten Tieren auf

Genau hiergegen wenden sich die Autoren des Fachartikels. Sie werben für Aufklärung: "Jedes Jahr besuchen weltweit mehr als 700 Millionen Menschen Zoos", sagt Roller. Die Einrichtungen hätten enormes Potenzial, das öffentliche Verständnis für das Sterben von Tieren als natürlichen Prozess zu prägen. "Wenn sie den Tod aus dem Bewusstsein der Besuchenden verdrängen, schaffen sie jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis."

Zumal sich der Widerstand dem Beitrag zufolge auf das Keulen charismatischer Säugetiere konzentriert: Beim Töten etwa von wirbellosen Tieren, Fischen, Nutztieren oder Tieren, die als Schädlinge wahrgenommen werden, gebe es in der Regel keine negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit. Eine detaillierte Analyse der Beiträge in sozialen Medien nach dem Tod der Giraffe Marius in Kopenhagen habe zudem ergeben, dass 80 Prozent davon weder negativ noch positiv, sondern neutral gegenüber der Tötung gewesen seien.

"Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere und Veterinärmediziner, die sich auf Palliativpflege konzentrieren."

Marco Roller, Zootierarzt und Co-Autor des "PNAS"-Beitrags

Doch in der Diskussion überwog die Kritik. Die Folgen macht eine Studie zur Giraffenpopulation deutlich, die sich weltweit seit 2014 rasch demografisch verschoben habe - hin zu einer alternden Population. Der Geburtenrückgang weise auf eine drastische Einschränkung der Fortpflanzung hin.

Zoos müssten fortpflanzungsaktive Populationen erhalten, ihr Personal müsse mit der Zucht und dem Umgang mit Jungtieren erfahren bleiben, betont Tierarzt Roller. "Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere und Veterinärmediziner, die sich auf Palliativpflege konzentrieren." (dpa/bearbeitet von mak)

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