Im Februar 2017 wurde der erste Kadaver eines Weissen Hais an Südafrikas Küste angespült - was eine Serie mysteriöser Todesfälle einleitete. Als "Täter" sind mittlerweile Orcas überführt. Die Attacken bringen aber auch drastische Folgen für das Ökosystem mit sich.
In Gansbaai, Südafrika, begann im Februar 2017 eine rätselhafte Serie von Todesfällen unter Weissen Haien. Der erste gefundene Kadaver, ein mehr als zweieinhalb Meter langes Weibchen, zeigte weder Haken- noch Netzspuren. Da eine menschliche Beteiligung an dem Tod des Tieres deswegen auszuschliessen war, standen Wissenschaftler zunächst vor einem Rätsel.
Dieser erste Kadaver war zudem nur der Anfang, es folgten weitere. Zwischen Februar und Juni 2017 wurden an den Stränden von Gansbaai fünf Kadaver von Weissen Haien angespült. Vier von ihnen fehlte die Leber, beschreibt ein Forschungsteam um Alison Towner von der Universität Rhodes in einer Studie. Das Team geht seit dem ersten Fund der Frage nach, wodurch die Raubfische starben.
Forschungsteam: Orcas vertrieben Haie aus Bucht
"Mitzuerleben, wie das Raubtier, dem ich mein Leben gewidmet hatte, tot an den Stränden angespült wurde, war surreal und ich werde es nie vergessen", sagt Towner dem britischen "Guardian". Sie und ihr Team untersuchten die toten Haie und entdeckten, dass alle Tiere mit beinahe chirurgischer Präzision hinter den Kiemen aufgerissen waren. Auffällig war, dass die Leber fehlte. Daraus schlussfolgerten die Wissenschaftler, dass die Haie wohl von Orcas getötet wurden.
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Schnell konnte das Team diese ausfindig machen: Zwei männliche Orcas, bekannt als "Port" und "Starboard" (zu Deutsch: Backbord und Steuerbord), wurden in der Nähe der Kadaver gesichtet. "Das Einzige, was fehlte, war die direkte Beobachtung eines Angriffs", berichtet Towner. Doch die folgte bald: Im Mai 2022 flog ein Drohnenpilot über die Mossel Bay. Dabei gelang ihm der Beweis für die Theorie des Forschungsteams. Er filmte, wie fünf Orcas einen drei Meter langen Weissen Hai angriffen, ihm zwischen die Brustflossen bissen und die Leber herausrissen. Mit dabei: Starboard.
Esther Jacobs, Gründerin der Meeresschutzorganisation Keep Fin Alive, sah die Aufnahme als eine der Ersten. Dem "Guardian" erzählte sie: "Es war herzzerreissend, mitzuerleben, wie eines der grössten Raubtiere des Ozeans so leicht besiegt wurde."
Killerwale fressen weisse Haie in der Mossel Bay
Danach konnten noch weitere Angriffe von Schwertwalen auf Weisse Haie dokumentiert werden. So beobachtete das Forschungsteam etwa im Jahr 2023 einen Angriff von "Port" und "Starboard". Letzterer habe den Hai fest umklammert, selbst als dieser um sich schlug, erinnert sich Jacobs. "Wir sahen fassungslos zu, wie er den Hai schliesslich ausweidete."
Verschwinden der Haie hat ökologische Folgen
Das Verschwinden der Weissen Haie aus der Bucht hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Ökosystem von Gansbaai. Ohne die Haie stiegen etwa die Populationen ihrer Beutetiere wie Kap-Pelzrobben und Bronze-Haie stark an. Diese unkontrollierte Zunahme könnte laut dem Forschungsteam das Gleichgewicht des Ökosystems gefährden.
So beobachtete Towner etwa, dass die Robben mutiger wurden und bedrohte Pinguine jagten. Zudem brach eine Tollwutepidemie unter den Robben aus, die sich bis nach Mossel Bay ausbreitete. Die Abwesenheit der Haie trug zur Ausbreitung bei.
Rückgang der Hai-Populationen weltweit
Vor einem Jahrzehnt lebten noch bis zu 1.000 Weisse Haie in der südafrikanischen Mossel Bay. Mittlerweile sind sie fast ganz verschwunden. "Meines Wissens gab es 2024 weniger als zehn bestätigte Sichtungen", sagte Jacobs dem "Guardian".
Nicht nur in Südafrika beobachten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen den Rückgang von Hai-Populationen. Hauptursache dafür sind allerdings nicht Schwertwal-Attacken, sondern die weltweite Überfischung. Laut einer Studie von Nicholas Dulvy von der Simon Fraser University in Kanada hat sich die globale Hai-Population seit 1970 halbiert. Über 100 Millionen Haie sterben jährlich durch Überfischung, ein Drittel der Arten ist vom Aussterben bedroht.
Wie der WWF berichtet, landet der Weisse Hai immer wieder als Beifang in Langleinen- und Schleppnetzen. Ausserdem sei er eine heiss begehrte Trophäe bei Sportfischern, nicht zuletzt seit dem Kinofilm "Der Weisse Hai" aus dem Jahr 1975.
Der Weisse Hai ist die am meisten geschützte Haifisch-Art der Welt. Seit 2000 steht er auf der Roten Liste bedrohter Arten der Weltnaturschutzunion IUCN, die ihn als "gefährdet" einstuft.
Verwendete Quellen
- The Guardian: "'Awe-inspiring and harrowing': how two orcas with a taste for liver decimated the great white shark capital of the world"
- Studie im African Journal od Marine Sience: "Fear at the top: killer whale predation drives white shark absence at South Africa’s largest aggregation site"
- WWF: Weisser Hai im Artenlexikon
- Video von Sea Search Research & Conservation auf Youtube.com: "Killer whales eating white sharks in Mossel Bay, South Africa"
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