• HESS J1731-347 ist ein höchst ungewöhnlicher Neutronenstern: Das Leichtgewicht enthält nur 77 Prozent der Masse unsere Sonne.
  • Das widerspricht theoretischen Vorhersagen.
  • Handelt es sich um einen seltenen, nur unter Extrembedingungen entstehenden Exoten?

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Der 8.150 Lichtjahre entfernte Neutronenstern HESS J1731-347 ist ein Leichtgewicht: Er enthält lediglich 77 Prozent der Masse unserer Sonne. Das zeigen Messungen und Analysen eines Forscherteams vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen. Typisch für Neutronensterne ist dagegen eine Masse, die dem 1,4-fachen der Sonne entspricht. HESS J1731-347 liegt damit deutlich unterhalb von Vorhersagen theoretischer Modelle. Es handle sich möglicherweise um einen Sternenüberrest aus exotischer Quark-Materie, erläutern die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature Astronomy".

"Die Bildung von Neutronensternen mit einer Masse unterhalb des 1,174-fachen der Sonne ist problematisch", schreiben Victor Doroshenko und seine Kollegen. Wenn ein Stern mit mehr als dem Achtfachen der Sonnenmasse seinen nuklearen Energievorrat verbraucht hat, explodiert er als Supernova. Dabei stösst er seine äusseren Schichten ins All ab, während sein Kernbereich - je nach Masse - entweder zu einem Schwarzen Loch oder zu einem Neutronenstern kollabiert.

Materie erreicht in einem Neutronenstern maximal mögliche Dichte

In einem Neutronenstern erreicht die Materie ihre maximal mögliche Dichte, sie ist so dicht gepackt wie sonst nur in den Kernen von Atomen: Ein stecknadelkopfgrosses Stückchen Neutronenstern enthält eine Million Tonnen Materie. Der immense Druck im Inneren eines solchen Objekts presst die Elektronen der Atome in die Protonen der Atomkerne hinein - zurück bleiben ausschliesslich Neutronen, daher der Name dieser Sternenleichen.

Astronomen können Neutronensterne relativ leicht aufspüren, denn sie verraten sich durch charakteristische, hochenergetische Röntgen- und Gammastrahlung. So auch HESS J1731-347, der bei Beobachtungen mit der Teleskopanlage "H.E.S.S." in Namibia entdeckt wurde. Trifft Gammastrahlung aus dem All auf die irdische Atmosphäre, löst sie blaue Blitze - Tscherenkow-Strahlung genannt - aus. Diese Blitze registrieren die Teleskope von "H.E.S.S." und liefern den Himmelsforschern Informationen über hochenergetische Objekte.

Schwierige Entfernungsmessung

Schwieriger ist es für die Wissenschaftler, die Entfernung von Neutronensternen zu ermitteln. Aber nur, wenn sie wissen, wie weit ein solches Objekt von uns weg ist, können die Astronomen seine Masse berechnen. Doroshenko und seine Kollegen hatten Glück: In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Neutronenstern befindet sich ein normaler Stern. Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop "Gaia" der europäischen Raumfahrtagentur ESA lieferten den Forschern eine akkurate Entfernungsmessung zu dem Stern und damit auch zum Neutronenstern.

"Mithilfe dieser Messungen konnten wir vorherige Ungenauigkeiten beheben und unsere Modelle verbessern. Masse und Radius des Neutronensterns liessen sich viel genauer bestimmen als es bisher möglich war", erklärt Team-Mitglied Valery Suleimanov. Das Ergebnis: HESS J1731-347 hat einen Durchmesser von lediglich zwanzig Kilometern und bringt nur das 0,77-fache der Sonnenmasse auf die Waage. Der bislang leichteste Neutronenstern PSR J0453+1559 wiegt 1,174 Sonnenmassen - in guter Übereinstimmung mit dem theoretischen Limit von 1,17 Sonnenmassen.

Ist HESS J1731-347 vielleicht sogar ein Quarkstern?

"Eine bestätigte Verletzung dieses Limits hätte enorme Folgen für unser Verständnis der Entstehung und der Physik von Neutronensternen", betonen Doroshenko und seine Kollegen. Sie äussern daher den Verdacht, dass es sich nicht um einen echten Neutronenstern, sondern ein noch exotischeres Objekt handeln könnte: einen Quarkstern.

Denn die Kernbausteine der Materie, Neutronen und Protonen, bestehen wiederum aus Quarks - und Theoretiker spekulieren seit langem, dass unter extremen Bedingungen Neutronen zu einer Art Quark-Suppe verschmelzen könnten. HESS J1731-347 sei der bislang beste Kandidat für einen solchen exotischen Sternenüberrest. (dpa/Rainer Kayser/mgb)

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