Kraftverlust im All: Nach 5.440 Erdumrundungen brauchen Scott Kelly und Michail Kornijenko zum Verlassen der Landungskapsel fremde Hilfe. Rettungskräfte packen entschlossen zu und tragen die Astronauten vom Sojus-Transporter zu Klappstühlen. Die Bewegungseinschränkung ist für Forscher eine wichtige Erkenntnis. Nach fast einem Jahr in der Schwerelosigkeit scheinen die Muskeln des Amerikaners und des Russen schwächer als vermutet. Beweglichkeit ist aber eine zentrale Voraussetzung etwa für eine Landung auf dem Mars. Dort kann den ersten Astronauten niemand beim Aussteigen helfen.
"Der Kraftverlust des Muskel- und Skelettsystems ist das Hauptproblem", sagt der deutsche Mediziner Jens Titze. Nach einem Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS dauere es "Wochen bis Monate" bis zur Normalität. Gravierender sei aber die psychische Belastung eines Flugs zum Roten Planeten, meint der Professor der Vanderbilt University in Nashville (US-Bundesstaat Tennessee).
"Im Vergleich zu einer Mars-Mission sind Aufenthalte auf der ISS quasi kleine Probleme. Die Raumstation kreist rund 400 Kilometer über der Erde, während der Mars etwa 228 Millionen Kilometer von uns entfernt ist. Die Rückkehr nach Hause ist von der ISS also ziemlich einfach", meint Titze. Er betreute 2011 das Isolationsexperiment Mars500 in Moskau, als sechs Männer einen Flug zum Mars simulierten.
Winken in der kasachischen Steppe
In der Steppe von Kasachstan winken Kelly und Kornijenko auf ihren Klappstühlen in die Kameras. Bei Minustemperaturen ist auch der Russe Sergej Wolkow in eine Decke gehüllt, er kehrte nach 182 Tagen im All mit den beiden Kollegen zurück. "Dobroje utro", ruft Kelly Helfern als Morgengruss auf Russisch zu. Es ist das Ende eines spektakulären Dienstflugs, fast 340 Tage nach dem Start Ende März 2015 in Baikonur.
In der Nähe der Raumfahrer liegt die Sojus-Kapsel im Steppengras, auf dem Rückweg zur Erde haben Temperaturen bis zu 1.000 Grad Celsius ihren Hitzeschild in der Erdatmosphäre braun-schwarz verfärbt. Eigentlich sollten Kornijenko und Kelly das Raumschiff eigenständig verlassen und ein spezielles Übungsprogramm absolvieren, zu dem auch Kniebeugen gehörten. Nun finden die ersten medizinischen Tests für die beiden Russen in Moskau und für Kelly in Houston (USA) statt.
"Es ist eigentlich eine Drei-Jahres-Mission, da die Untersuchungen nach der Landung noch lange fortgesetzt werden", sagt ein Mitarbeiter der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos der Agentur Tass. "Die Reise ist noch nicht zu Ende", meint auch Scott Kelly. Er ist für Wissenschaftler besonders interessant: Der Astronaut hat einen Zwillingsbruder - für die Forschung war Mark Kelly in den vergangenen rund zwölf Monaten ein idealer Vergleichsproband auf der Erde.
Kelly ist teil von gross angelegtem Experiment
Das Ziel der Zwillings-Studie: Erkenntnisse gewinnen, wie sich lange Weltraumreisen auf den Menschen auswirken. Interessant sind vor allem die Belastungen, denen der Körper ausgesetzt ist - höhere Dosen kosmischer Strahlung, Muskel- und Knochenschwund, geschwächtes Immunsystem, Probleme mit den Augen und Folgen für das Erbgut.
Der deutsche Raumfahrer Thomas Reiter ist sicher, dass die Jahresmission wichtige Antworten für eine bemannte Reise zum Mars gibt. "Natürlich kann man etwa die Belastung durch kosmische Strahlung nicht zu 100 Prozent simulieren. Auch würde man auf dem Weg zum Mars nur die Sonne sehen, nicht den Heimatplaneten Erde, diesen psychologischen Aspekt können wir nicht testen", sagt Reiter. Die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Knochen und Muskeln sei aber zentral - so habe der deutsche Astronaut Alexander Gerst mit intensivem Training im All sogar Muskelmasse aufbauen können.
Auch die Frage der Ernährung wird bei einer Reise zum Roten Planeten entscheidend sein. Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt verzehrten Astronauten im vergangenen Sommer Gemüse, das in der Schwerelosigkeit gewachsen war. Fast fünf Wochen lang beleuchteten LED-Lampen auf der ISS Salatpflänzchen. "Schmeckt wie Rucola", sagte Kelly, als er einige Blätter probierte.
Die nächste Sonde, die für Menschen den Weg zum Mars ein weiteres Stück ebnen soll, steht schon bereit. Der in Europa gebaute Satellit ExoMars soll am 13. März mit einer russischen Rakete starten. Nach siebenmonatigem Flug soll die Sonde dann die Atmosphäre des Planeten untersuchen. Ein Minilabor auf der Oberfläche des Mars soll erkunden, wie eine sanfte Landung gelingen kann. Auch das ist wichtig, damit Raumfahrer eines Tages sicher aussteigen können. © dpa
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