In der Krebsbehandlung wird die CAR-T-Zell-Therapie als bahnbrechend gefeiert. Sie zeigt grosse Erfolge bei Blutkrebs, birgt aber auch Risiken. Wie funktioniert die aufwendige Methode, wo liegen ihre Grenzen und was erhoffen sich Forschende für die Zukunft?
Kürzlich feierten einige Medien wieder einmal den "Durchbruch" in der Krebsbehandlung. Anlass war die Pressemitteilung einer führenden klinischen Forschungseinrichtung Spaniens. Die medizinische Leitung des Hospital Clínic Barcelona-IDIBAPS (Instituto de Investigaciones Biomédicas August Pi i Sunyer) hatte über einen historischen Meilenstein berichtet.
Seit 2017 wurden über 500 Patientinnen und Patienten mit verschiedenen Formen von Blutkrebs in der Klinik mit sogenannten CAR-T-Zellen, also im Labor veränderten körpereigenen Abwehrzellen, behandelt. 50 bis 90 Prozent der Patienten sprachen auf die Behandlung an, bei mehr als der Hälfte von ihnen war die Erkrankung nach der Therapie verschwunden.
Die Erfolgsquote, über die die spanischen Medizinerinnen und Mediziner berichten, ist beachtlich. Die CAR-T-Zell-Therapie ist besonders für Patienten, deren Erkrankung auf klassische Behandlungen nicht anspricht, häufig lebensrettend. Doch die "Durchbruch"-Meldungen übersehen, dass Kliniken die Behandlung bereits weltweit gleichermassen erfolgreich einsetzen. Und dass es neben all dem Licht auch Schatten gibt: Die Methode hat Risiken, verursacht hohe Kosten und ist bisher allein bei Blutkrebserkrankungen erfolgreich und zugelassen, nicht aber bei soliden Tumoren etwa der Brust, des Darms, der Lunge oder des Gehirns.
Aber was sind CAR-T-Zellen? Wie funktioniert die Therapie, was sind die Erfahrungen bisher und welche Herausforderungen gibt es?
Immunzellen als lebendiges Medikament
Im Zentrum der Behandlung steht eine Gruppe von Immunzellen, die sogenannten T-Zellen. Diese Abwehrzellen erkennen im normalen "Tagesgeschäft" Merkmale von Krankheitserregern und zerstören infizierte oder auch tumorartig veränderte Körperzellen über Rezeptoren auf ihrer Oberfläche.
Die behandelnden Medizinerinnen und Mediziner isolieren die T-Zellen zunächst aus dem Blut der Patienten, frieren sie ein und verschicken sie. Im Labor der Herstellerfirmen dieser "lebendigen Medikamente" wird den Zellen mithilfe von Gentechnik ein zusätzlicher Rezeptor eingebaut, der mit einem Molekül auf den Tumorzellen der Erkrankten reagiert.
Die Immunzellen, die mit diesem "Chimären Antigen-Rezeptor" (CAR) ausgestattet sind, werden im Labor auf mehrere Hundert Millionen vermehrt und anschliessend an das behandelnde Krankenhaus zurückgesendet. Hier erhält die Tumorpatientin oder der Tumorpatient die CAR-T-Zellen über eine einmalige Infusion.
Im Idealfall sollten sich die aufgerüsteten Immunzellen auch noch im Körper der Betroffenen zahlenmässig vermehren und schliesslich sämtliche Tumorzellen vernichten, die das Erkennungsmerkmal auf ihrer Zelloberfläche tragen. In der Regel vergehen etwa drei bis fünf Wochen von der Blutentnahme bis zur Infusion der therapeutischen CAR-T-Zellen.
Hohe Wirksamkeit bei Blutkrebs
Im Jahr 2017 beziehungsweise 2018 liessen die zuständigen Behörden in den USA und Europa die CAR-T-Zell-Therapie für die Behandlung von Blutkrebs wie etwa Lymphomen oder Myelomen zu. Seither sind weltweit mehrere Zehntausend Patienten behandelt worden. Knapp die Hälfte der Patienten mit einem B-Zell-Lymphom spricht langfristig auf die Therapie an, auch das Multiple Myelom kann mithilfe der CAR-T-Zellen häufig gut kontrolliert werden. In Deutschland kommt die Methode seit 2018 an inzwischen 45 verschiedenen medizinischen Zentren zum Einsatz.
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Die Methode ist aufwendig, individuell und daher teuer. Je Patient fallen dafür 200.000 bis 300.000 Euro an. Wenn die Klinik in Kooperation mit lokalen Forschungszentren die CAR-T-Zellen vor Ort selber herstellen kann, sinken nicht nur die Kosten, sondern auch die Herstellungsdauer. Je kürzer die "Vene-zu-Vene-Zeit" ist, also die Spanne zwischen Entnahme und Rückgabe der aufgerüsteten T-Zellen, desto erfolgreicher ist auch die Therapie.
Das gelingt etwa dem eingangs erwähnten Hospital Clínic Barcelona-IDIBAPS. Es entwickelte selbst zwei von den Behörden zugelassene Therapien gegen die akute lymphoblastische Leukämie und gegen das multiple Myelom und optimiert die Technologie nun noch weiter. In Deutschland verfügen aktuell etwa eine Handvoll Kliniken über ausreichend Expertise und die technischen Möglichkeiten, um alle Produktionsschritte der CAR-T-Zell-Herstellung selber durchzuführen.
Selten: Krebserkrankung als Folge der Krebstherapie
Wie alle anderen Tumortherapien ist auch die CAR-T-Zell-Therapie nicht frei von zum Teil schweren Nebenwirkungen. Gefürchtet ist etwa das sogenannte "Cytokin-Release-Syndrom", bei dem durch die Aktivität der veränderten Immunzellen im Körper hohe Mengen an immunologischen Botenstoffen frei werden. Im schlimmsten Fall kann das die Grundfunktionen des Körpers stark beeinträchtigen, etwa einen lebensbedrohlichen Blutdruckabfall auslösen, aber auch neurotoxisch wirken.
Sehr selten löst die Therapie selbst sekundäre Blutkrebserkrankungen aus: Die im Labor gentechnisch veränderten CAR-T-Zellen vermehren sich dann nach der Infusion im Körper des Patienten unkontrolliert und verursachen ihrerseits einen Tumor. Das kann zum Beispiel geschehen, wenn das im Labor über harmlose Lentiviren eingeschleuste Gen für den zusätzlichen Krebserkennungsrezeptor ein zelluläres Onkogen aktiviert, das krebsfördernd wirkt.
Einer Arbeitsgruppe vom Paul-Ehrlich-Institut ist es gelungen, eine solche unglückliche Verkettung von Ereignissen bei einer von vier gemeldeten Krebserkrankungen, zu denen es infolge der Therapie kam, nachzuweisen. Die Zahlen zeigen, dass das Ereignis extrem selten ist: Etwa 2.500 Patienten hatten die CAR-T-Zell-Therapie in Deutschland mit kommerziellen Herstellerprodukten bis April 2024 erhalten. In vier Fällen war es – vermutlich durch die CAR-T-Zellen – zu einer Folgekrebserkrankung gekommen.
Forschende arbeiten an verbesserten CAR-T-Zellen der nächsten Generation
Weltweit arbeiten wissenschaftliche Teams an Verbesserungen der Therapie. Dabei geht es nicht nur darum, die akuten Nebenwirkungen zu verringern. Durch einen zielgerichteten statt bisher zufälligen Einbau des gewünschten Rezeptor-Gens soll zum Beispiel das Risiko für die Aktivierung von Onkogenen sinken. Ausserdem sollen die CAR-T-Zellen für den Kampf gegen solide Tumore fit gemacht werden. Anders als die für die Immunzellen leicht zugänglichen Blutkrebszellen verschanzt sich ein Tumor im Gewebe, etwa in Lunge, Brust oder Gehirn, hinter einem immununterdrückenden Gewebewall.
Für die Immunzellen ist es schwer bis unmöglich, hier durchzudringen und die Krebszellen anzugreifen. Forschende des Hospital Clínic Barcelona-IDIBAPS entwickeln zurzeit beispielsweise CAR-T-Zellen, die sich gegen das HER2-Molekül richten, einen Marker bestimmter Brustkrebsarten.
Andere Labore testen die Methode bei Darm- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. US-Forschende und ein Team pädiatrischer Onkologen aus Rom haben im vorletzten Jahr minimale Erfolge erzielt: Bei Kindern und Jugendlichen mit einem tödlichen Hirntumor, einem Glioblastom, konnten dank CAR-T-Zellen Symptome und die Tumorgrösse zumindest vorübergehend verringert werden, die das Molekül "GD2" auf den Tumorzellen erkannten.
Grundproblem der Krebstherapie
Alle Immuntherapien, also auch die CAR-T-Zell-Therapie, kämpfen mit einem Grundproblem der Krebsmedizin: Tumorzellen sind Körperzellen. Zwar sind sie verändert und wachsen unkontrolliert, aber sie sind Körperzellen. Ihre Bekämpfung birgt immer auch das Risiko, dass gesunde Zellen mit absterben. Bei der Entwicklung von Immuntherapien ist es daher eine besondere Herausforderung, ein geeignetes Zielmolekül auf den Tumoren ausfindig zu machen.
Kommt das Molekül auch auf gesunden Körperzellen vor, besteht die Gefahr, dass auch diese durch die CAR-T-Zellen angegriffen und der Organismus insgesamt Schaden nimmt. Angesichts von lebensbedrohlichen Krebserkrankungen mag man dieses Risiko in manchen Situationen eingehen. Doch von einem echten "Durchbruch" in der Krebsmedizin wird man erst sprechen können, wenn es für dieses zentrale Dilemma eine Lösung gibt.
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Verwendete Quellen
- clinicbarcelona.org: Hospital Clínic-IDIBAPS, pioneer in CAR T-cell therapies for cancer with over 500 patients treated
- nature.com: CAR-T cell therapy: current limitations and potential strategies
- Deutsches Ärzteblatt: CAR-T-Zell-Therapie: Aussichten und Risiken
- frontiersin.org: From bench to bedside: the history and progress of CAR T cell therapy
- embopress.org: CAR T-cell-associated secondary malignancies challenge current pharmacovigilance concepts
- frontiersin.org: Engineering strategies to safely drive CAR T-cells into the future
- pmc.ncbi.nlm.nih.gov: Current status and innovative developments of CAR-T-cell therapy for the treatment of breast cancer
- nature.com: GD2-CAR T cell therapy for H3K27M-mutated diffuse midline gliomas
- nejm.org: GD2-CART01 for Relapsed or Refractory High-Risk Neuroblastoma
- t-online.de: Ärzte feiern Durchbruch bei Krebstherapie
- berliner-zeitung.de: Kampf gegen Krebs: Wissenschaftlern aus Barcelona gelingt ein Durchbruch
- mdr.de: "Neue" Krebstherapie - Hoffnung auf Heilung auch in Jena, Leipzig und Magdeburg
- Spektrum: Immuntherapien im Aufwind
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