Deutschland hat seine Corona-Massnahmen gelockert. Das bedeutet aber nicht, dass die Pandemie vorbei ist. Noch immer gibt es Infektionen, noch immer liegen Menschen auf der Intensivstation. Besonders schwere Fälle von COVID-19-Erkrankungen müssen beatmet werden. Was bedeutet das für Patienten und Ärzte? Wir haben nachgefragt.

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Die gute Nachricht ist: Die Fallzahlen von Corona-Infektionen sinken. Nur noch knapp 3.000 neue Infektionen vermeldete das Robert-Koch-Institut in der vergangenen Woche (Stand 31. Mai). Die Lockerungen funktionieren – wohl auch, weil die Menschen in Deutschland sich grösstenteils an die grundlegenden Regeln wie Hände waschen, Abstand halten und Maske tragen halten.

Dennoch starben auch in der vergangenen Woche immer noch etwa 250 Menschen in Deutschland an COVID-19 (Stand 31. Mai). Die Pandemie ist nicht vorbei, immer wieder werden neue Patienten auf die Intensivstationen der deutschen Kliniken verlegt. Das Positive: Momentan ist genügend Platz in der Intensivmedizin – nicht zuletzt wegen der raschen Reaktion auf die Pandemie und den nachfolgenden Lockdown.

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Beatmung kann Leben retten

Viele Patienten, die auf der Intensivstation Hilfe bekommen, müssen künstlich beatmet werden, um Corona zu überstehen. Wie aber funktioniert die künstliche Beatmung überhaupt?

"Beatmung, auch 'künstliche Beatmung' oder 'maschinelle Beatmung', bedeutet zunächst einmal, dass einem meist schwer kranken Patienten über eine Maschine, also das Beatmungsgerät, die Atmung und damit die muskuläre Arbeit ganz oder teilweise abgenommen wird", erklärt Mario Menk, Oberarzt für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Berliner Charité. Der Patient muss also nicht mehr selber atmen, gleichzeitig können Mediziner ihren Patienten Sauerstoff in höherer Konzentration zuführen.

"Ein weiterer wichtiger Effekt ist, dass über diese künstliche Beatmung bestimmte Drücke in der Lunge aufgebaut werden können, die es normalerweise nicht gibt. Diese Drücke können aber bei einer kranken Lunge helfen, Sauerstoff ins Blut aufzunehmen und Kohlendioxid abzugeben, also zu atmen."

Wie funktioniert Beatmung in der modernen Intensivmedizin

Sei jemand auf einer Intensivstation akut krank und müsse beatmet werden, so werde der Patient in aller Regel in eine Art Narkose versetzt. Menk erklärt: "Dann wird ein Beatmungsschlauch in der Luftröhre platziert, über den das Beatmungsgerät mit dem Patienten verbunden wird." Intensivmedizinisch gibt es viele verschiedene Verfahren und Einstellungen, um eine Beatmung zu steuern. Beatmung ist also nicht gleich Beatmung. "Es kommt ganz auf die Schwere der Erkrankung des Patienten an, wie viel der Atemarbeit und/oder des Gasaustausches in der Lunge vom Beatmungsgerät übernommen werden muss."

Die Übergänge sind dabei fliessend: Mit modernen Beatmungsgeräten auf der Intensivstation können Patienten, die nur eine leichte Beeinträchtigung der Atmung haben, auch sehr sanft und behutsam unterstützt werden. Andererseits ist es bei schwerer erkrankten Patienten auch möglich, praktisch die komplette Atmung des Patienten zu ersetzen, wenn dies nötig ist.

Ist ein Patient oder eine Patientin auf dem Weg der Besserung und eine Beatmung nicht mehr nötig, wird der Beatmungsschlauch entfernt - die Person atmet also wieder selbstständig.

Was bekommen Patienten bei einer Beatmung mit?

Für viele Patienten ist allein der Gedanke an eine Beatmung schrecklich. Ein Schlauch im Hals – wie soll das gehen? Menk nimmt die Angst:

"In der ersten, meist akuten Phase, in der bei schwer kranken Patienten eine Beatmung notwendig wird, ist in der Regel eine tiefe Narkose erforderlich. Die Patienten sind also in diesem Abschnitt der intensivmedizinischen Behandlung meist tief sediert, also bewusstlos, und bekommen von der akuten Therapie nichts mit."

Natürlich gebe es auch andere Beatmungsverfahren, die bei vollständig wachen und kooperativen Patienten angewendet werden. Hier komme es dann auf die Situation an. In der Regel gelingt es laut Menk aber gut, die Einstellungen des Beatmungsgerätes und des -verfahrens so gut an die Bedingungen und den Patienten anzupassen, dass dieser die Beatmungstherapie tolerieren kann.

"In der Übergangsphase, in der der Patient zunehmend wacher wird und vom Beatmungsgerät 'abtrainiert' wird, sind wieder fliessende Übergänge möglich. Ein wichtiges Ziel der ärztlichen Therapie auf einer Intensivstation ist hier immer, unangenehme Situationen wie Angst oder Luftnot vom Patienten fernzuhalten."

Risiko künstliche Beatmung

Beatmung hilft also vor allem und wird nicht zur Horror-Erfahrung aus dem Krankenhaus. Trotzdem – ganz ohne Risiken kommt auch die Beatmung in der modernen Intensivmedizin nicht aus.

"Auch, wenn Beatmung aus der modernen Intensivmedizin nicht wegzudenken ist und das Verfahren ganz sicher unmittelbar lebensrettend sein kann, wissen wir aus zahlreichen Studien und Untersuchungen, dass die Beatmung an sich auch negative Effekte haben kann." Dies trifft laut Menk in verstärktem Masse dann zu, wenn die Lunge selbst sehr schwer von einer Erkrankung betroffen ist und der Patient vielleicht sogar ein akutes Lungenversagen hat."

Als weiteres Risiko gilt die Dauer der Beatmung: "Je länger eine Beatmung dauert, desto schwieriger ist es unter Umständen, den Patienten wieder vom Beatmungsgerät zu trennen, beziehungsweise kann der Prozess des Abtrainierens vom Gerät sehr lange dauern." Hierfür verantwortlich sei unter anderem ein Nachlassen der Kraft der Atemmuskeln unter lang andauernder Beatmung. "Sehr stark vereinfacht gilt: Beatmung so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich", sagt Menk.

Herausforderungen für die Intensivmedizin bei Corona-Infektionen

Nichtsdestotrotz gehört die Beatmung zu den lebensrettenden Massnahmen in der Intensivmedizin. Auch wenn viele Corona-Betroffene nur eine leichte Symptomatik durchlaufen, muss ein Teil der Patienten im Krankenhaus oder sogar auf einer Intensivstation behandelt werden.

Die Herausforderung an den schweren Verläufen der COVID-19-Erkrankungen ist laut Menk, dass ein zwar kleiner, aber hochrelevanter Teil der Patienten ein sogenanntes "akutes Lungenversagen" (acute respiratory distress syndrome, ARDS) entwickle und beatmet werden muss. Die Beatmungstechnik an sich unterscheide sich hier kaum von der Beatmung anderer Patienten mit ähnlichen Erkrankungen.

"Die besondere Herausforderung bei Corona und COVID-19, der durch das Virus ausgelösten Lungenerkrankung, besteht allerdings darin, dass unter Umständen in sehr kurzer Zeit sehr viele Patienten gleichzeitig auf einer Intensivstation behandelt werden müssen."

Vorsichtiger Optimismus: Drosten hofft auf Ausbleiben zweiter Corona-Welle

Eine zweite Corona-Welle könnte nach Einschätzung des Virologen Christian Drosten abgewendet werden - allerdings nur, wenn die aktuellen Massnahmen nochmals angepasst werden.

Mehr als 11.000 Intensivbetten frei

In zahlreichen Ländern, auch in Europa, führte dies im März und April zu einer Knappheit an Intensivbetten und an Beatmungsmöglichkeiten. Für das Gesundheitssystem ist vor allem die erforderliche Dauer der Beatmung und die Verweildauer auf der Intensivstation der Patienten schwierig.

Desto wichtiger ist die vorausschauende Arbeit von Virologen und Politikern sowie Fachleuten aus der Medizin, um möglichst schnell auf viele neue Infektionen zu reagieren. Denn nur wenn die Infektionskurve abgeflacht wird – beispielsweise durch Einschränkungen im öffentlichen Leben – kann das Gesundheitssystem alle Patienten gut versorgen.

Derzeit gibt es 11.755 freie Betten in den 1.160 Kliniken in Deutschland, die eine Intensivmedizin haben. Sie alle melden täglich ihre Belegung, sodass frühzeitig auf einen Anstieg von Infektionen reagiert werden kann. Für den Moment – trotz der Lockerungen – sieht es aber gut aus.

Über den Experten: Dr. med. Mario Menk ist Oberarzt für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Berliner Charité.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. med. Mario Menk
  • Fallzahlen Robert-Koch-Institut am 29. Mai
  • Spiegel Online: Ist Deutschland bereit für die Lockerungen?
  • Zeit.de: Wo Intensivbetten in Deutschland knapp sind
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