- Der Milliardär Marc Lore will eine 5-Millionen-Einwohner-Stadt in den USA bauen, die eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft bietet.
- 2030 sollen dort bereits 50.000 Menschen leben.
- Ein Stadtforscher bewertet das ambitionierte Projekt.
Das Zentrum der Stadt Telosa wird von einem riesigen Park dominiert. Dort treffen sich die Menschen, um sich auszutauschen oder miteinander zu lernen. Selbstfahrende Autos bringen sie in nur 15 Minuten von ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz. Die Energie hierfür kommt aus erneuerbaren Quellen. Telosa ist sicher, nachhaltig und einladend. Es gibt nur ein kleines Problem: Diese Stadt existiert bisher nur auf dem Reissbrett.
Wer steckt hinter diesem Projekt?
Geht es allerdings nach dem Milliardär Marc Lore wird Telosa bald Realität werden. Noch weiss keiner, wo genau die neue Stadt überhaupt gebaut wird. Doch im Jahr 2030 sollen dort bereits 50.000 Menschen leben. In 40 Jahren sollen es dann 5 Millionen Einwohner sein. Kostenpunkt des Projekts: 500 Milliarden US-Dollar.
Marc Lore – ein Start-up-Milliardär plant die “Stadt der Zukunft“.
Der Stadtplaner Mark Kammerbauer hat sich mit den Plänen auseinandergesetzt, empfiehlt aber, erst einmal abzuwarten, wo, wann und wie die Stadt tatsächlich gebaute Realität wird. “Einerseits können solche Pläne als Absichtserklärung gelesen werden, um auf akute Probleme unserer Zeit eine Lösung zu finden und dabei ein korrespondierendes, stadträumliches Produkt anzubieten“, sagt Kammerbauer.
“Andererseits können sie ebenso gut dazu dienen, den Initiator ins Gespräch zu bringen.“ Kammerbauer verweist auf Milliardäre, die sich mit spektakulären Projekten öffentlichkeitswirksam positionieren – Bezos, Branson, Musk.
Wer also ist dieser Marc Lore, der nichts weniger als ein neues Utopia gründen will? Lore machte sein Geld mit mehreren Start-ups, unter anderem dem Online-Kaufhaus Jet.com. 2016 übernahm der Einzelhandels-Gigant Walmart Jet.com für über 3 Milliarden Dollar. Lore wiederum wurde CEO bei Walmart und galt fortan als bestbezahlter Manager der USA.
Telosa: Millionenstadt mit nachhaltigem Konzept
Inzwischen konzentriert sich Lore voll und ganz auf Telosa. Und auch dabei sind seine Pläne ehrgeizig. Telosa soll “eine Stadt der Zukunft“ werden. Mit nachhaltiger Wasserversorgung, erneuerbaren Energien, sicheren Strassen. Mit bezahlbaren Wohnungen in Quartieren, die Menschen aus unterschiedlichsten Schichten zusammenbringen. Und mit einem klugen, durchdachten öffentlichen Transportsystem.
“Grundsätzlich brauchen wir Städte, die nachhaltige Qualitäten besitzen, die fair und inklusiv sind und die Antworten auf soziale Herausforderungen bieten“, sagt Mark Kammerbauer. “Dazu gehört als Evergreen der bezahlbare Wohnraum, aber auch das lebenswerte Umfeld. Entscheidend ist, ob solche Stadtprojekte wie eine Fata Morgana auf der grünen Wiese erscheinen oder ob sie überhaupt nachhaltig geplant werden können.“
Dafür soll der dänische Star-Architekt Bjarke Ingels sorgen. Ingels gilt als Rockstar unter den Architekten, seine Bauten prägen Städte auf der ganzen Welt, sein Name steht auf der Liste der 100 einflussreichsten Menschen des Time Magazins. Die sprichwörtliche “grüne Wiese“ wird im Falle von Telosa jedoch eher eine Wüste sein. Denn dort gibt es Platz und günstiges Land. Nevada, Utah, Idaho, Arizona sind als mögliche Standorte im Gespräch.
Wird Telosa ein Ort für eine gerechtere Gemeinschaft?
Die Pläne von Lore gehen allerdings weit über moderne Architektur und nachhaltige Stadtplanung hinaus. In Telosa soll eine sichere und einladende Gemeinschaft entstehen, in der Chancengleichheit herrscht und alle am Wohlstand teilhaben können. Dazu tragen Bildungsangebote genauso bei wie ein modernes Gesundheitssystem.
Um eine gerechte Form des Zusammenlebens zu schaffen, träumt der Milliardär gar von “einer reformierten Version des Kapitalismus“. Bürger sollen Anteile an der Stadt besitzen und an politischen Entscheidungsfindungen teilhaben. Ein modernes Utopia? Oder Grössenwahn?
“Da schwingt der Gründungsmythos der USA mit“, sagt Mark Kammerbauer. “Gut zwei Drittel der US-amerikanischen Bürger besitzen das Heim, das sie bewohnen.“ Das Modell des anteiligen Landbesitzes solle jedoch kein ausschliessliches sein, so der Stadtplaner. “Sonst wäre die Stadt nicht mehr inklusiv und würde auch die soziale und wirtschaftliche Realität vieler Menschen in den USA ausblenden.“
Können Retortenstädte in China und Saudi-Arabien ein Vorbild für Telosa sein?
Doch wie realistisch ist es überhaupt, dass Telosa bereits im Jahr 2030 von 50.000 Menschen bewohnt wird? Mark Kammerbauer hält es für höchst unrealistisch. “Möglicherweise stehen da Verhältnisse wie in China Pate, wenn es um den Bau von Millionenstädten geht“, sagt der Stadtplaner und nennt als Beispiel Panjin im Norden Chinas. Jedoch sei der Vergleich schwierig, da in China grundlegend andere politische, finanzielle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschten.
“Und von einer konsequent robotisierten Bauwirtschaft, die Kosten für Personal niedrig halten und Bauzeiten vermindern könnte, sind wir ebenso weit entfernt. Ganz abgesehen von dem aktuellen Problem mit den globalen Lieferketten und der Frage, wo das ganze nachhaltige Baumaterial herkommen soll.“
Trotz allem scheinen futuristische Städte aus der Retorte im Trend zu liegen. In Saudi-Arabien etwa baut Kronprinz Mohammed bin Salman die Stadt Neom. Das 500-Milliarden-Dollar-Projekt am Roten Meer soll komplett mit Wasserstoff und grünem Strom versorgt werden, alle standardisierten Arbeiten sollen Roboter übernehmen.
Neue Siedlungsmodelle für die Herausforderungen der Zukunft
Bleibt noch die Frage, wie überhaupt Leben in eine Stadt wie Telosa kommen soll. “Das betrifft die Vorstellung davon, wie dieses Leben der Bürger tatsächlich aussehen soll“, sagt Mark Kammerbauer. “Ist es immer fröhlich, immer erfolgreich, immer schön, wie Utopien einem weismachen wollen? Jede Utopie verweist mit ihrem ‘perfekten‘ Design unweigerlich auf eine verborgene, dystopische Seite. Einfach gesagt, kein Licht ohne Schatten. In gewisser Weise sind Städte die Summe der Ideen, die zu Problemlösungen beitragen. Eine neue Stadt muss hingegen ihre Probleme erst noch entdecken.“
Und doch möchte Kammerbauer bei aller Kritik und aller Sorge um das Gelingen utopischer Stadtprojekte für Telosa eine Lanze brechen. “Ja, es gibt viele Unwägbarkeiten und Risiken. Manche Probleme kommen erst noch auf uns zu, durch den Klimawandel angefeuert.“
Und dabei könnten Städte aus der Retorte eine Lösung bieten, wenn etwa Küstenregionen unbewohnbar werden. “Dazu brauchen wir neue Siedlungsmodelle und entsprechende Bilder, um angemessene planerische Szenarien und Ziele zu formulieren“, sagt Kammerbauer. “Dabei geht es nicht nur darum, wie wir in Zukunft leben wollen, sondern wie wir überhaupt als metropolitane Kulturen weiterleben können.“
Mark Kammerbauer ist Urbanist und Director bei der Nexialist Agency for Research and Communication. Er forscht zu den Themen Stadtplanung, Städtebau und Architektur.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Mark Kammerbauer
- cityoftelosa.com
- siliconvalley.com: Telosa: Plans for $400-billion new city in the U.S. desert unveiled
- wiwo.de: Hier baut der saudische Kronprinz die Wasserstoff-Stadt der Zukunft
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