Chinesische Forscher haben erstmals die DNA von menschlichen Embryonen verändert. Mit dem sogenannten CRISPR-Verfahren haben sie das Gen, das für die Krankheit Beta-Thassalämie verantwortlich ist, aus dem Erbgut entfernt. Die angesehen Zeitschriften "Nature" und "Science" haben es abgelehnt, die Studienergebnisse zu veröffentlichen und Kritiker warnen vor den möglichen Auswüchsen der neuen Methode.

Ein Interview

Nikolaus Knoepffler sieht die Wissenschaft und die Politik in der Pflicht, Regeln und Grenzen aufzustellen. Der Philosoph leitet das Ethik-Zentrum der Universität Jena. Als Medizinethiker beschäftigt er sich hauptsächlich mit genetischen Manipulationen. Knoepffler begrüsst zwar den Ansatz der chinesischen Wissenschaftler und hält ihn sogar für moralisch richtig - malt aber eine düstere Zukunftsvision.

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Chinesische Forscher haben mit dem CRISPR-Verfahren erstmals ein einzelnes Gen im Erbgut eines menschlichen Embryos verändert. Hat Sie diese Nachricht schockiert?

Nikolaus Knoepffler: Schockiert ist der falsche Ausdruck. Im konkreten Fall geht es um eine schlimme Krankheit, Beta-Thalassämie, die man im Embryonalstadium heilen könnte, wenn man den Gendefekt repariert. Ich halte die Möglichkeit einer frühen Therapie grundsätzlich für sinnvoll und moralisch geboten, wenn das Verfahren sicher ist und es sich um eine schwere Krankheit handelt. Man will dafür sorgen, dass der später geborene Mensch nicht durch die Erkrankung in seinem Lebensglück eingeschränkt ist. Das Fundament ist moralisch sehr hochstehend - wenn man der Motivationslage glaubt.

Glauben Sie an die moralisch positive Motivation?

Ich glaube das erst einmal. Ich kann aber über die Motive der chinesischen Wissenschaftler nicht reden. Sie streben offenbar an, eine schwere Krankheit frühestmöglich zu verhindern. Damit probieren sie etwas, das moralisch geboten ist.

Was ist das Bahnbrechende an diesem Versuch? Haben wir es mit einer nobelpreiswürdigen Arbeit zu tun?

Die DNA von Tieren hat man ja schon verändert, der Schritt zum Menschen ist nicht sehr gross. Deshalb haben wir die ethischen Fragen schon vor mehr als einem Jahrzehnt diskutieren können. Von den Ergebnissen her sind die Zahlen sehr schlecht. Sie entsprechen denen aus Tierversuchen. Wenn man Tiere genetisch verändert, kommt nur ein Bruchteil der Veränderungen wirklich so an, wie man sich das wünscht.

Das ist auch hier so, was zeigt: Das Verfahren ist nicht sicher. Nun haben die Wissenschaftler aber Embryonen verwendet, die ohnehin nicht lebensfähig waren. Wenn man nicht eine strikt katholische Position einnimmt, laut der auch diese Form der Embryonenforschung verboten ist, dann ist ein solcher Versuch für die Grundlagenforschung mit therapeutischer Zielsetzung zulässig.

Mit welchen Embryonen haben die chinesischen Forscher experimentiert?

Die Wissenschaftler haben laut Originalartikel Embryonen verwendet, die tripronuklear sind, also drei Vorkerne haben. Derartige Embryonen können niemals zu geborenen Menschen werden. Die Wissenschaftler haben in einer frühen Phase eingegriffen, nach 48 Stunden, also im Achtzellstadium.

Sie haben es schon angesprochen, die Effizienz war bei dem Experiment an der Universität Guangzhou enttäuschend: Nur sehr wenige Embryonen haben die gewünschte Veränderung gezeigt, bei anderen war das Erbgut schwer geschädigt. Wie weit ist die Forschung?

Forscher erzielen bis heute bei Tierversuch ähnliche Zahlen. Sehr viele Tierembryonen gehen zugrunde, weil die Genveränderung nicht funktioniert. Deswegen ist es so ein heikles Thema: Ein Verfahren, bei dem statistisch nur ein Mensch von zehn ohne die Krankheit geboren wird, während neun nicht nur mit der Krankheit, sondern möglicherweise auch mit schwersten Schäden durch das Verfahren geboren würden - so ein Verfahren ist nach allen medizinethischen Standards verwerflich.

Diese Studie zeigt nur, was man implizit wusste: Was bei Säugetieren funktioniert, funktioniert auch beim Menschen. Nur ist es nicht dramatisch – ausser aus der Sicht eines Tierschützers - wenn nur eine Maus von zehn mit dem gewünschten Ergebnis überlebt und neun gehen verloren auf dem Weg. Aber beim Menschen ist es unzulässig.

Ist die weitere Forschung ebenfalls ethisch bedenklich?

Genau darum geht es, das ist der eigentliche ethische Konflikt. Es gibt Wissenschaftler, die sich gegen weitere Forschungen zur Entwicklung einer Keimbahntherapie aussprechen. Möglicherweise haben sie durchgesetzt, dass die Studie nicht in den führenden Wissenschaftsjournalen "Science" oder Nature" veröffentlicht wurde. Diese Forscher sagen: Wir müssen uns als Wissenschaftler Spielregeln geben, wie weit wir mit menschlichen Embryonen gehen wollen. Das ist ein vernünftiger Gedanke. Selbst bei anwendungsorientierter Grundlagenforschung müssen wir debattieren: Was wollen wir wirklich, wie weit wollen wir gehen?

Die andere Seite wird sagen: Wenn wir jetzt nicht zügig weiterarbeiten, werden viele Menschen mit Krankheiten geboren, die ihre Leben nicht lebenswert machen - und diesen Menschen könnten wir eigentlich helfen. Diese Forscher sagen: Die Zeit ist gekommen, mit aller Kraft voranzugehen.

Was halten Sie für richtig?

Wenn wir auf der Ebene der Technikfolgenabschätzung bleiben: Wir müssen vorsichtig sein. Sonst haben wir am Ende eine Situation, dass Kinder geboren werden, die schwere Schäden durch dieses Verfahren erlitten haben. Das Verfahren, das sieht man an den Zahlen, ist derzeit total unsicher. Andererseits gibt es gute Gründe, auf der Ebene der Grundlagenforschung weiterzugehen, damit das Verfahren verbessert wird.

Einige befürchten dann einen Dammbruch.

Richtig. Es könnte sein, dass man dieses Verfahren anwendet, um zum Beispiel die Augenfarbe eines ungeborenen Kindes festzulegen. Das können sie theoretisch mit der gleichen Methode machen. Diese Diskussion führt man seit 20 Jahren unter dem Stichwort "genetisches Enhancement". Diese ethische Debatte ist nicht neu. Dagegen ist neu: Wir haben nun zum ersten Mal gesehen, dass eine Keimbahnbehandlung beim Menschen möglich ist. Das haben die Chinesen mit ihrer Studien bewiesen.

Das ist nach meiner Ansicht zwar nicht nobelpreiswürdig, aber es hätte "Nature" und "Science" gut zu Gesicht gestanden, die Ergebnisse mit Kommentaren zu veröffentlichen. Es sei denn, der Artikel enthält naturwissenschaftliche methodische Mängel, was ich als Ethiker nicht beurteilen kann. Aber wenn sie es aus weltanschaulichen Gründen zurückgewiesen haben, wäre es verwunderlich. Es wurden schon einige Forschungen an Embryonen veröffentlicht, bei denen einige Konfessionen grosse Probleme hatten.

Sie haben es angesprochen: Einige Wissenschaftler fordern ein Moratorium, eine Denkpause. Wie viel Zeit haben wir noch, um "Stopp" zu sagen?

Die Studie zeigt: Wenn ein Labor das möchte, dann könnte es heute schon geschehen. Machbar ist es. Deswegen ist das, was die Kollegen wirklich dringend verlangen: Wir sollten uns klar werden, wo wir hinwollen. Wollen wir die menschliche Keimbahn verändern, obwohl wir die Langzeitwirkungen nicht abschätzen können? Selbst dann, wenn das Verfahren zu 100 Prozent sicher wäre, also im konkreten Fall alle Embryonen so therapiert werden könnten, dass sie augenscheinlich gesund geboren werden?

Nehmen wir mal an, das wäre möglich.

Dann wäre der nächste Schritt: Die Weltgemeinschaft muss sich klar werden, welche genetischen Veränderungen sie für zulässig hält. Welche nicht? Zum Beispiel genetische Reparaturen bei schweren Erbkrankheiten, die Babys nur geringe Überlebenschancen lassen. Dabei geht es um Krankheiten wie Chorea-Huntington: Bei diesem Leiden erleben Patienten 30 bis 40 gute Jahre und dann zehn schreckliche. Das sind die gleichen Fragen, die wir uns schon heute bei der Präimplantationsdiagnostik stellen.

Dann geht es weiter, den grossen Schritt über die Diagnostik hinaus. Sie können bestimmte Normabweichungen korrigieren. Sie können noch weiter gehen und Gene einbauen von Tierarten, die gegen bestimmte Krankheiten immun sind, so dass kein Mensch mehr Aids bekommen kann. Sozusagen als Prävention. Und noch weiter: Es wäre möglich, das Verfahren einzusetzen, um Menschen körperlich fitter zu machen. Das hat man mit Ratten schon gemacht, die konnten dann körperlich doppelt so viel leisten.

Wer soll das diskutieren, und wer soll die Grenzen festlegen?

Unter Ethikern gibt es eine rege Diskussion. Eine Strömung namens Transhumanismus wirbt zum Beispiel aktiv dafür, unser Genom zu verändern. Dan Brown hat das schon in einem Roman verarbeitet, derartige Überlegungen sind also schon in der weiteren Gesellschaft angekommen. Aber die Politik hat so getan, als sei das alles noch weit weg, als müsse das nicht angepackt werden.

Was ich befürchte: Wenn es so weitergeht, und vor allem die asiatische Länder weiter voranschreiten, dann werden wir irgendwann in dem einen Land schwere Krankheiten kurieren, und in einem anderen die Augenfarbe von Ungeborenen bestimmen. Dann ist es nicht weit zu einer Art Supermensch, der möglicherweise uns "Normalos" verachtet. Wir brauchen globale Standards, die verbindlich sein sollten.

Das ist übrigens auch das Gute an dieser Studie: Sie wurde nicht heimlich im Labor gemacht, sondern publiziert. Wir können darüber reden.

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