Frauen haben nicht nur eine höhere Lebenserwartung, sondern sind im Alter oft auch geistig fitter als Männer. Man vermutet, dass die Ursache dafür biologischer Natur ist. Forschende aus Kalifornien gehen anhand aktueller Untersuchungen davon aus, dass das zweite, eigentlich inaktive X-Chromosom von Frauen ausschlaggebend für ihre häufig langsamere Gehirnalterung sein könnte. Wir fassen die neuen Erkenntnisse zusammen.
Vergleicht man die Gedächtnisfunktion von älteren Menschen, die nicht an Demenz erkrankt sind, fällt auf, dass der Abbau der kognitiven Fähigkeiten, also gewissermassen die Gehirnalterung, bei Frauen langsamer abläuft als bei gleichaltrigen Männern.
Die Ursache dafür könnte im zweiten X-Chromosom liegen, das Frauen in ihrer DNA aufweisen. Die Geschlechtschromosomen unterscheiden sich bei Männern und Frauen: Männer besitzen in der Regel ein Chromosomen-Paar aus einem X- und einem Y-Chromosom (XY), Frauen hingegen haben zwei X-Chromosomen (XX).
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Da dieses zweite X-Chromosom eigentlich früh in der Embryonalentwicklung von Frauen inaktiv geschaltet wird, wurde ihm in der Forschung oft wenig weitere Beachtung geschenkt.
Zweites X-Chromosom könnte Alterungsprozess des Gehirns verlangsamen
Eine Anfang März veröffentlichte Studie vom Weill Institute for Neurosciences an der University of California in San Francisco rückt das inaktive X-Chromosom nun aber in den Mittelpunkt. Die Forschenden konnten feststellen, dass im Alter eine Reaktivierung des inaktiven X-Chromosoms bei Frauen stattfindet und dies möglicherweise positive Auswirkungen auf den Alterungsprozess des Gehirns hat.
In ihren Untersuchungen beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Unterschiede in der kognitiven Widerstandsfähigkeit der Geschlechter zunächst bei Mäusen und haben dabei festgestellt, dass sich die geistige Aktivität von männlichen Mäusen verbessert hat, nachdem ihnen ein zweites X-Chromosom hinzugefügt wurde. Bei weiblichen Mäusen verschlechterte sich wiederum die Kognition, wenn ihr zweites X-Chromosom entfernt wurde. Das Phänomen trat bei den Versuchstieren in einem Alter auf, das ungefähr 65 menschlichen Lebensjahren entspricht.
Die Untersuchungen zeigen, dass nicht nur das sowieso aktive X-Chromosom, sondern auch das über Jahre inaktive zweite X-Chromosom bei den weiblichen Tieren während des Alterns eine Genaktivität aufweist. Man könnte sagen, dass auf dem inaktiven Chromosom einzelne Gene sozusagen wieder aufgeweckt werden. Die Reaktivierung des X-Chromosoms scheint damit dazu beizutragen, den geistigen Abbau im Alter zu verlangsamen.
Diesen Vorgang beobachteten die Forschenden vor allem im Hippocampus weiblicher Mäuse. Dieser Bereich des Gehirns ist wichtig für die Gedächtnisbildung, man könnte ihn auch als eine Art Zwischenspeicher des Gehirns betiteln. Während Ruhephasen, etwa beim Schlafen, werden im Hippocampus Informationen, die zuvor aufgenommen wurden, verarbeitet und zur Speicherung in andere Bereiche des Gehirns weitergeleitet.
Was bedeutet die Studie?
Die neuen Erkenntnisse unterstützen die Vermutung, dass viele Frauen aufgrund biologischer Vorgänge eine bessere Widerstandsfähigkeit bei der Gehirnalterung besitzen. Um die gesundheitlichen Vorteile des zweiten X-Chromosoms genauer einordnen zu können, sind aber weitere Untersuchungen und Beweise dieser Annahme nötig.
Die aktuellen Ergebnisse können aber den Weg für neue Studien ebnen, in denen die Ursachen der unterschiedlichen Gehirnalterung bei Frauen und Männern weiter erforscht werden. Das kann ausserdem die Entwicklung therapeutischer Strategien ermöglichen, mit dem Ziel, die kognitiven Fähigkeiten beider Geschlechter im Alter länger zu erhalten.
Verwendete Quellen
- Science Advanes: Aging activates escape of the silent X chromosome in the female mouse hippocampus
- Pharmazeutische Zeitung: Inaktiviertes X-Chromosom als Reserve
- München Klinik: Der grosse Unterschied
- Charité Universitätsmedizin Berlin: Forscher entschlüsseln wichtigen Mechanismus zur Gedächtnisbildung