Mit welchen Strategien kann man sich schnell und einfach Zahlenfolgen wie etwa die eigene IBAN oder eine Handynummer einprägen? Der Neurowissenschaftler Boris Nikolai Konrad weiss genau, wie es geht - schliesslich ist er mehrfacher Gedächtnissport-Weltmeister.
Sie haben kürzlich in Schweden an den World Memory Championships teilgenommen. Wie dürfen wir uns eine solche Weltmeisterschaft vorstellen?
Boris Nikolai Konrad: Die Weltmeisterschaft ist ein Zehnkampf, ähnlich wie in der Leichtathletik. Statt zu rennen, springen oder werfen müssen die Teilnehmenden sich sehr viel merken. Ich nehme also an Disziplinen teil, bei denen man sich beispielsweise innerhalb von fünf Minuten so viele Zahlen oder innerhalb von 15 Minuten so viele Wörter in der richtigen Reihenfolge wie möglich einprägen und korrekt wiedergeben muss. Wie im Zehnkampf werden auch hier Punkte verteilt.
Welchen Platz haben Sie belegt?
In der Gesamtwertung bin ich Sechster geworden, worüber ich mich sehr freue. Von allen Teilnehmenden aus Deutschland konnte ich als bester Deutscher abschneiden und konnte mit Blick auf die Gesamtpunktzahl das zweitbeste Ergebnis meiner gesamten Karriere einholen.
Nehmen Sie uns einmal mit in eine dieser Disziplinen: Wie viele Wörter könnten Sie sich binnen 15 Minuten in der richtigen Reihenfolge einprägen?
Hier sprechen wir tatsächlich von meiner stärksten Disziplin im Rahmen der WM, denn hier konnte ich den zweiten Platz holen. Insgesamt ist es mir gelungen, 263 Worte fehlerfrei wiederzugeben.
Zum Vergleich: Wissen Sie, wie viele Wörter sich ein "Otto-Normal-Hirn" innerhalb von 15 Minuten durchschnittlich merken kann?
Wir dürften hier von rund einem Zehntel der bei der WM erreichten Wörtern sprechen – also von rund 20 bis 30 Begriffen.
Sie sind mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport. Können Sie also grundsätzlich Dinge schneller erlernen als andere Menschen? Ich denke da etwa an das Erlernen einer neuen Sprache.
Ganz so einfach ist es nicht, in Ihrer Frage steckt dennoch ein wahrer Kern. Die Techniken, die ich nutze, kann ich auf recht viele Dinge anwenden. Denn es gibt verschiedene Gedächtnissysteme in unseren Köpfen. Beim Erlernen einer neuen Sprache etwa kann ich mir mit Blick auf Vokabeln also deutlich schneller Wörter merken, als es anderen Menschen möglich ist. Zu jeder Sprache gehören natürlich aber auch Faktoren wie die richtige Aussprache. Vor einigen Jahren etwa habe ich ein wenig Mandarin gelernt: Im Vergleich zu den Angaben aus den Lehrbüchern war ich hinsichtlich des Erlernens der Schriftzeichen und Worte deutlich schneller als andere Menschen. Beim Üben der korrekten Aussprache dieser Worte war ich dann jedoch nicht mehr ganz so schnell (lacht).
Passiert es Ihnen im Alltag auch mal, dass Sie Dinge vergessen?
Das kann natürlich vorkommen. Vor allem wir Männer neigen ja dazu, unseren Hochzeitstag zu vergessen (lacht). Das ist mir bislang zwar noch nicht passiert. Trotzdem kann es auch mal vorkommen, mich abends auf dem Sofa plötzlich daran zu erinnern, dass ich auf dem Heimweg doch eigentlich einkaufen fahren oder die Post in den Briefkasten werfen wollte. In meinem Gedächtnis war dieses Vorhaben natürlich noch gespeichert, nur habe ich eben nicht daran gedacht.
Während wir uns in Zeiten des Festnetztelefons ganz selbstverständlich Telefonnummern merken konnten, fällt es uns heute schon schwer, sich die eigene Handynummer einzuprägen. Haben wir im Laufe der Zeit vergessen, uns Dinge zu merken?
Ich glaube nicht, dass uns diese Fähigkeit komplett abhandengekommen ist, weil es ja durchaus Dinge gibt, die wir uns merken. Natürlich hat es aber einen Effekt, wenn man sich immer weniger merkt. Indem wir uns früher noch viel mehr Zahlenfolgen, wie etwa Telefonnummern, gemerkt haben, wird es uns auch entsprechend leichter gefallen sein, sich etwa die eigene Kontonummer einzuprägen.
Durch gespeicherte Daten, zum Beispiel auf dem Smartphone, müssen wir diese Zahlenfolgen immer weniger selbst ausfüllen und sie uns entsprechend weniger merken. Natürlich verbessert sich unser Gehirn, wenn es auch genutzt wird. Insofern ist es diesbezüglich sicherlich nicht günstig, sich ausschliesslich auf externe Gedächtnishilfen zu verlassen. Sich immer mehr darauf zu verlassen, dass Daten digital abgespeichert sind, birgt demnach eine gewisse Gefahr. Statt sich handschriftlich Notizen zu machen, neigen wir eher dazu, eine Information via Copy-Paste-Funktion in unsere Notiz-App zu übernehmen.
Können Sie einen alltagstauglichen Tipp geben, wie wir uns Zahlenfolgen, wie die IBAN oder die Handynummer des Partners, merken können?
Sprechen wir von einer Zahlenfolge, die nur aus wenigen Ziffern besteht, kann man sehr gut mit einer Merkgeschichte arbeiten, indem die Ziffern durch ähnlich aussehende Bilder ersetzt werden. Bedeutet: Die 1 wird zu einer Kerze, die 2 zu einem Schwan, die 8 zu einem Schneemann oder die 9 zu einer Blume oder einem Luftballon. Zu diesen Bildern wird dann eine Geschichte gebaut. Lautet der Smartphone-Pin etwa 9128, könnte die dazugehörige Geschichte also wie folgt erzählt werden: Das Handy hängt an einem Luftballon, der über einer Kerze schwebt. Überraschenderweise wird diese Kerze aber nicht von einem Menschen, sondern von einem Schwan gehalten, ehe ihm die Kerze von einem Schneemann weggenommen wird.
Klingt nach einer sehr kuriosen Geschichte …
Absolut, ja. Durch die lustige und eben auch bildhafte Vorstellung dieser Geschichte kann unser Gehirn aber viel mehr mit den Informationen anfangen und sich entsprechende Bilder einprägen. Und auch beim Einprägen einer längeren Zahlenfolge, wie der IBAN oder einer Handynummer, funktioniert dieses System sehr gut.
Sie haben bereits den Fortschritt der Digitalisierung angesprochen. Wie wirkt sich Künstliche Intelligenz auf unser Denken aus?
Natürlich ist es sinnvoll, gewisse Tools zu nutzen. Hierbei ist von Relevanz, wie die Technologien genutzt werden. Überlasse ich der KI die komplette Arbeit und denke selbst nicht mehr nach, wird meine Eigenleistung in der Folge immer geringer und genau das kann niemand wollen. Besteht meine Arbeit aber beispielsweise aus dem sehr routinierten Verfassen von Protokollen oder Berichten, kann die KI sehr gut helfen. Die eingesparte Zeit kann in der Folge für die intelligenten und inhaltlich relevanten Aufgaben genutzt werden. Wir sollten KI also so nutzen, dass wir in der Folge mehr und nicht weniger denken. Nur so bleibt man innovativ. Insofern bin ich optimistisch, dass nicht nur die KI schlauer wird, sondern auch wir Menschen uns weiterentwickeln werden. Denn wir Menschen stehen für jene Superintelligenz, die die KI noch anstrebt.
Was genau meinen Sie mit Superintelligenz?
In der KI-Forschung wird der Begriff "Superintelligenz" oft als die Fähigkeit einer KI verstanden, in nahezu allen kognitiven Bereichen den Menschen weit zu übertreffen – etwas, das rein theoretisch bleibt und noch keine praktische Relevanz hat. Wir Menschen haben ja ohnehin unterschiedliche Fähigkeiten und zum Glück nicht alle die Gleichen.
Die Superintelligenz, über die wir verfügen und über die die KI über eine noch lange Zeit nicht verfügen wird, sind unsere Emotionen. Dass unsere Intelligenzleistung mit Gefühlen zusammenkommt, kann im Einzelmoment eine Schwäche sein, bei einem Blackout etwa. Doch aus dieser vermeintlichen Schwäche kann auch eine Stärke entstehen, indem wir Menschen anderen Menschen gegenüber empathisch sein können – eine Regung, über die die KI nicht verfügt. Aus diesem Grund werden wir auch als Menschen weiter gebraucht und weiter die Oberhand behalten – zumindest für noch einen sehr langen Zeitraum.
Zur Person
- Boris Nikolai Konrad ist ein deutscher Neurowissenschaftler, Physiker, Autor und mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport. Als Keynote Speaker ist er sowohl in Deutschland als auch international unterwegs und zeigt seinen Zuhörern, wie sie ihr Gedächtnis nachhaltig trainieren können.
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