Europas Städte ächzen unter der Sommerhitze. In Wien könnten deshalb nun Fassadenbegrünungen für Neubauten vorgeschrieben werden. Kann dieses Modell Abhilfe für das Hitzeproblem schaffen?
Fast jährlich bringt der Sommer neue Rekordtemperaturen. Dabei ächzen vor allem die Städte unter den Hitzewellen. Denn mit ihren ausgedehnten Asphaltlandschaften haben sie kaum Abwehrkräfte gegen die Sonne.
Pflanzen bringen Abkühlung. Deshalb fördert die Stadt Wien Gebäudebegrünungen. Bei Neubauten können diese sogar vorgeschrieben werden, wie der ORF berichtete. Für Altbauten stehen Fördertöpfe bereit. Die österreichische Metropole will sich damit als Vorreiter bei der Fassadenbegrünung positionieren.
Simulationen zeigen, dass die gefühlte Temperatur neben einer begrünten Fassade um 10 bis 15 Grad kühler sein kann. Matthias Ratheiser, Geschäftsführer der Weatherpark GmbH, einer offiziellen Klima-Forschungseinrichtung in Wien, schränkt diese Aussage jedoch ein: "Je näher ich an der Fassade bin, desto stärker ist die Auswirkung", erklärt er. "Wenn ich mich entferne, nimmt der Effekt schnell ab."
Ratheiser sieht Fassadenbegrünungen nur als einen Baustein unter vielen. "Es ist wichtig, dass es viele verschiedene Massnahmen gibt", betont er. "In Summe entsteht ein Effekt, der gut für die Stadt ist." Dazu gehören auch mehr Parks und Grünflächen, Wasserspiele oder Frischluftschneisen, durch die kühle Luft in die Stadt fliessen kann.
Deutsche Städte kämpfen gegen die Hitze
Auch deutsche Städte beschäftigen sich längst mit dem Thema. Aus gutem Grund: Denn jedes Jahr sterben durch die Hitze zahlreiche Menschen. In München etwa müssen Dachflächen ab 100 Quadratmetern begrünt werden. In Berlin arbeitet ein Forschungsprojekt unter dem Namen "Hitzestress in der Stadt" an Klimalösungen durch Fassadenbegrünung. Und Hamburg will laut hamburg.de mit seiner Gründachstrategie "mindestens 70 Prozent sowohl der Neubauten als auch der geeigneten zu sanierenden, flachen oder flach geneigten Dächer begrünen".
Für Aufsehen sorgte ein neues Gesetz in Baden-Württemberg, das Schottergärten auf Privatgrundstücken verbietet. Damit fördert das Land nicht nur die Artenvielfalt, sondern bekämpft auch die Überhitzung der Städte.
"Der grosse Vorteil von Pflanzen ist, dass sie aktiv abkühlen", sagt Wolfgang Heidenreich, Experte für Klimaanpassungen in Städten bei der Umweltorganisation Green City e.V. in München. "Eine Klimaanlage ist nur eine scheinbare Lösung, denn sie kühlt innen die Luft, strahlt aber Wärme nach aussen ab."
Fassadenbegrünungen dagegen verdunsten Wasser und spenden Schatten, wo Bäume dies nicht mehr leisten. Das Ergebnis: Die Gebäude kühlen ab und die Fassaden strahlen nicht mehr so viel Hitze in die Umgebung ab.
Fassadenbegrünung mit zahlreichen Vorteilen
Dabei ist der Effekt gegen die Hitze bei Weitem nicht der einzige Vorteil der Bepflanzungen. So halten Gebäudebegrünungen das Regenwasser zurück, dämmen und gleichen Temperaturextreme aus. Sie filtern Feinstaub, reduzieren Lärm sowie CO2 und schützen die Bausubstanz.
Und auch finanziell lohnt sich eine Bepflanzung. Laut Forschungen der TU Berlin kann Fassadenbegrünung die Betriebskosten eines Gebäudes deutlich verringern.
Es gibt laut der Stadt Wien zwei verschiedene Systeme bei der Fassadenbegrünung: Die bodengebundene Variante arbeitet mit Kletterpflanzen, die von alleine wachsen. Allerdings siedeln sich dort viele Insekten an, was manche Bewohner als Nachteil empfinden könnten. Die Alternative sind fassadengebundene Pflanzen, die in kleinen Trögen direkt am Gebäude wachsen. Diese muss man jedoch regelmässig giessen.
"Auch ein Blumenkasten am Fenster hilft schon" sagt Heidenreich und fordert, so viel Grün wie nur möglich in die Stadt zu bringen. Denn nur mit Pflanzen könne man die Städte kühlen. Ein weiteres wichtiges Element sind für Heidenreich Bäume. Dabei müsse man jedoch auch an die Bewässerung denken, denn bis zu 50 Prozent der Neupflanzungen gehen wieder ein.
"Man müsste Städte anders bauen" fordert Heidenreich. "Genauso selbstverständlich wie es Strom, Telefon oder Fernwärme gibt, sollte man Wasser sammeln und zu den Bäumen leiten." Dazu bräuchte es jedoch einen gesellschaftlichen Wandel. Die Menschen müssten erkennen, dass es wichtiger sei, einen Baum zu bewässern, als einen Stellplatz zu bauen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Matthias Ratheiser, Geschäftsführer der Weatherpark GmbH, Wien
- Gespräch mit Wolfgang Heidenreich, Experte für Klimaanpassungen in Städten bei der Umweltorganisation Green City e.V., München
- Green City: "Vorteile der Gebäudebegrünung, Übersicht für die Münchner Stadtgesellschaft" (Februar 2015)
- Marco Schmidt: "Klimawandel und Hitzevorsorge. Begrünte Fassaden als Teil einer Lösungsstrategie?" (25.9.2018)
- ORF.at: "Fassadenbegrünung bei Neubauten Pflicht"
- br.de: "Hitze in der Stadt mit mehr Weiss, Grün und Blau verringern"
- Stadt Wien: "Fassadenbegrünung - Förderung, Beratung und Vorteile"
- hamburg.de: "Gründachstrategie Hamburg: Es wird grün auf Hamburgs Dächern"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.