Mehr als ein Jahr verbrachten einige Forscher ohne Unterbrechung in der Antarktis. Der lange Aufenthalt in der eintönigen Umgebung hatte Auswirkungen auf ihre Gesundheit: Festgestellt wurden Verkleinerungen in Teilbereichen des Gehirns. Diese Entdeckung könnte auch eine Rolle in der Raumfahrt spielen.
Anhaltende Dunkelheit, bis zu minus 50 Grad, immer die gleichen Gesichter - und eine schnelle Abreise unmöglich: Ein Langzeitaufenthalt in der Antarktis kann deutschen Forschern zufolge deutliche Auswirkungen aufs Gehirn haben.
Bei Menschen, die sich 14 Monate auf der Neumayer-Station III aufhielten, seien Verkleinerungen in Teilbereichen des Hippocampus festgestellt worden, die für Gedächtnis und räumliches Denken zuständig sind, berichten die Wissenschaftler im "The New England Journal of Medicine". Was die Veränderungen im Gehirn auslöst, ist demnach unklar. Das Problem könnte auch für Raumfahrtmissionen relevant sein.
Lerneffekt ist nach Expedition geringer
Das Team um Alexander Stahn von der Charité–Universitätsmedizin Berlin hatte per MRT strukturelle Hirn-Aufnahmen vor und nach der Expedition gemacht, Blutproben der einbezogenen fünf Männer und vier Frauen analysiert und sie regelmässig kognitiven Tests unterzogen. Die Ergebnisse wurden mit denen einer Kontrollgruppe in Deutschland verglichen.
Bei den kognitiven Übungen gebe es normalerweise einen Lerneffekt, sagte Studienleiter Stahn. Je ausgeprägter die Gehirnveränderungen bei den Probanden gewesen seien, desto geringer sei ihre Lernkurve gestiegen.
Angesichts des relativ jungen Alters von 25 bis 36 Jahren seien die Veränderungen im Gehirn überraschend stark ausgefallen. Für die Teilnehmer selbst seien sie nicht wahrnehmbar, zudem seien nicht alle neun Männer und Frauen in gleichem Masse betroffen gewesen.
Die Forscher weisen darauf hin, dass ihre Studie mit neun Teilnehmern sehr klein sei und die Ergebnisse deshalb vorsichtig zu interpretieren seien. Tierversuche hätten aber schon mehrfach schädliche Effekte von monotoner Umwelt und sozialer Isolation fürs Gehirn gezeigt.
Keine langfristigen Folgen
Was genau die Veränderungen im Gehirn auslöst, sei nicht klar, sagte Stahn. Zu möglichen Faktoren zählten Reizarmut, wenige Sozialkontakte, schlechter Schlaf oder Probleme in der Gruppe. Er halte es für wichtig, nach Möglichkeiten zu suchen, dem Effekt vorzubeugen.
Langfristige negative Folgen erwartet er für die Betroffenen nicht: "Das Hirn ist in diesen Bereichen wahnsinnig anpassungsfähig. Ich gehe davon aus, dass diese Veränderungen reversibel sind." Bisher gebe es dazu aber keine Daten.
Ähnliches Phänomen bei Raumfahrern beobachtet
Hirnveränderungen wurden auch schon bei Raumfahrern festgestellt. Eine im Mai vorgestellte Studie hatte gezeigt, dass sich bei längeren Aufenthalten auf der Raumstation ISS bestimmte Hohlräume im Gehirn vergrössern. Zu vermuten sei ein Zusammenhang mit dem häufig beobachteten Verlust von Sehschärfe bei Raumfahrern, berichteten die Wissenschaftler im Fachjournal "PNAS".
Die Hirnventrikel - mit Hirnwasser gefüllte Hohlräume im Gehirn - vergrösserten sich demnach bei den elf untersuchten Kosmonauten während des Einsatzes um durchschnittlich fast zwölf Prozent. Auch nach sieben Monaten war noch eine deutliche Veränderung messbar.
Zuvor hatten Mediziner bereits berichtet, dass es im Gehirn von Raumfahrern auch ein halbes Jahr nach der Rückkehr von Langzeit-Missionen noch "grossflächige Volumenänderungen" gibt. Betroffen war vor allem die sogenannte graue Substanz, die hauptsächlich Nervenzellen enthält.
Es gebe Hinweise, dass die Auswirkungen auf das Gehirn grösser sind, je länger die Menschen sich im Weltall aufhalten, hiess es. Ob die Veränderungen relevant für das Denkvermögen der Raumfahrer sind, sei noch unklar.
Analogmodell zur Raumfahrt
Die vor zehn Jahren in Betrieb genommene Neumayer-Station III sei "ein extrem geeignetes Analogmodell für die Raumfahrt", sagte der medizinisch-logistische Koordinator der Station des Alfred-Wegener-Instituts, Tim Heitland.
Auch Fragen zum Immunsystem und zur Gruppendynamik seien dort schon untersucht worden. Veränderungen des Gehirns seien zum Beispiel mit Blick darauf von Interesse, wie sich die räumliche Orientierung entwickle, wenn man Menschen zum Mars schicke. (awa/dpa)
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