Schwankende Messergebnisse sind in einer technischen Welt längst nicht mehr zeitgemäss. Weil in der Vergangenheit sogar das Ur-Kilo an Masse verloren hat, besinnen sich Forscher auf die Natur. Im neuen Einheitensystem dominieren Konstanten wie die Lichtgeschwindigkeit.
Revolution in Versailles: Zumindest in der Metrologie, der Wissenschaft vom präzisen Messen, ist seit Freitag nahezu alles auf den Kopf gestellt. Auf der Generalkonferenz für Masse und Gewichte in der französischen Stadt beschlossen die Vertreter von 60 Staaten ein neues Einheitensystem.
Alle Delegierten sprachen sich dafür aus, Kilogramm, Ampere (Stromstärke), Mol (chemische Stoffmenge) und Kelvin (Temperatur) neu zu definieren.
Als "Meilenstein für den wissenschaftlichen Fortschritt" bezeichnete der Direktor des Internationalen Büros für Masse und Gewichte, Martin Milton, die Abstimmung in Frankreich. Die Anwendung von Naturkonstanten biete eine stabile Grundlage für die Entwicklung neuer Technologien. Durch die Entscheidung werden physikalische Einheiten über Naturkonstanten wie die Lichtgeschwindigkeit, die Ladung des Elektrons oder das Plancksche Wirkungsquantum bestimmt.
Mängel des bisherigen Systems
Das Votum für das Internationale Einheitensystem (SI, französisch: Système international d`unités) bedeutet aber nicht, dass Verbraucher sich neue Waagen kaufen müssen. Die Änderungen seien im täglichen Leben nicht bemerkbar, hatte Jens Simon, Sprecher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, schon vor der Abstimmung gesagt. Ihm zufolge werden Mängel des bisherigen Systems beseitigt und eine universelle Sprache für eine hochtechnische Welt geschaffen.
Allein bei der PTB waren nach Angaben des Sprechers weit über 50 Forscher in den vergangenen Jahren an der Entwicklung beteiligt. Insgesamt kämen rund um den Globus sicher einige Hundert Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker von den grossen nationalen Metrologieinstituten wie etwa dem National Institute of Standards and Technology (NIST) in den USA zusammen.
Mit Mängeln im alten System ist unter anderem gemeint, dass das Ur-Kilogramm und seine Kopien sich zum Teil in ihrer Masse um ein halbes Mikrogramm (Millionstel Gramm) pro Jahr unterscheiden. Ein unhaltbarer Zustand für die Forscher. Bislang diente das seit Ende des 19. Jahrhunderts in einem Tresor in der Nähe von Paris verwahrte Ur-Kilo als Grundmass aller Gewichte. Es hatte jedoch in den vergangenen Jahrzehnten an Masse verloren, ein Ersatz musste her.
Auch weil viele andere Einheiten wie das Mol oder das Ampere vom Kilo abhängig waren. "Hat das Kilogramm ein Problem, haben es die anderen Einheiten automatisch auch", hiess es in einer der vielen PTB-Veröffentlichungen zum Thema.
Entscheidung per Livestream übertragen
In einer Mess-Welt, die weder beim Nanometer (Millionstel Millimeter) noch bei der Femtosekunde (Millionstel einer Milliardstel Sekunde) aufhört, sind Schwankungen verpönt. Deshalb nun also die Einigung auf das Stabilste, was die Physik bisher kennt: Naturkonstanten wie die Lichtgeschwindigkeit, die Ladung des Elektrons oder das Plancksche Wirkungsquantum bestimmen bald alle physikalischen Einheiten.
So wird beispielsweise das Kilogramm bald mit Hilfe solcher Naturkonstanten definiert werden. Die Änderungen treten am 20. Mai 2019, dem Weltmetrologietag, in Kraft.
Da nicht alle Wissenschaftler nach Frankreich reisen konnten, wurde die Entscheidung per Livestream in einen Hörsaal in Braunschweig übertragen. PTB-Sprecher Simon, der die Konferenz in Versailles vor Ort verfolgte, war sich im Vorfeld sicher, dass die sonst eher nüchternen Wissenschaftler der Forschungsbehörde in Braunschweig dann auch mit einem Glas Sekt anstossen. © dpa
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