Seit Jahrzehnten ist sie im Gespräch, doch "die Pille" für den Mann gibt es noch immer nicht auf dem Markt. Ein Experte erklärt, woran das liegt - und warum "die Pille" vielmehr eine Spritze für Männer ist.

Ein Interview

Herr Zitzmann, woran liegt es, dass es bisher noch keine Pille für den Mann gibt?

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Michael Zitzmann: Die Forschung daran hat schon in den 70er-Jahren begonnen, kurz nachdem die Pille für die Frau da war. Man wollte auf derselben Basis etwas für den Mann entwickeln. Die Pille für die Frau enthält die Hormone Östrogen und Gestagen. Darum dachte man, das männliche Hormon Testosteron und Gestagen sei dann gut für Männer geeignet.

Es hat sich schnell gezeigt, dass das Prinzip funktioniert. Lange Zeit gab es aber kein Testosteron-Präparat, dessen Wirkung lange genug anhält. Zunächst gab es das nur als Spritze, die dann einmal pro Woche verabreicht werden müsste. Das wäre nicht praktikabel. Erst später ist eine Spritze mit Testosteron und Gestagen auf den Markt gekommen, die man alle acht bis zwölf Wochen geben kann.

Spritze mit Testosteron und Gestagen

Also geht es gar nicht um die Pille, sondern die Spritze für den Mann?

Ja. Wenn Testosteron über eine Pille aufgenommen wird, wird es sofort in der Leber in Östrogene umgewandelt. Der einzige Effekt, den der Mann dadurch hätte, wäre ein Brustwachstum. Man kann Testosteron nicht als Pille einnehmen. In Studien wurde festgestellt, dass, wenn wir den Männern nur Testosteron geben, die Spermienbildung zwar auch unterdrückt wird, allerdings nur bei 75 Prozent und das reicht nicht aus.

Es musste also eine Spritze sein, die Testosteron und Gestagen enthält. Die dann ab 2008 durchgeführte Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und alle vorherigen haben gezeigt, dass man zwei Dinge beachten muss: Funktioniert das und welche Nebenwirkungen gibt es?

Was kam dabei heraus?

Funktioniert hat die Spritze mit Testosteron und Gestagen super. Die Spermien wurden bei 97 Prozent der Männer komplett unterdrückt und die Schwangerschaftsrate bei den 300 Paaren, die mitgemacht haben, war geringer, als wenn die Frauen die Pille genommen hätten.

Ungefähr zehn bis 15 Prozent der Männer hatten Nebenwirkungen wie Libidoverlust und Gewichtszunahme, Schwitzen und auch Depressionen. Daraufhin hat die WHO, also weder Forschende noch unabhängige Berater, entschieden, das wären zu viele Nebenwirkungen.

Nebenwirkungen der Verhütung

Würden Sie sagen, dass diese Entscheidung im Vergleich zu den Nebenwirkungen der Pille für Frauen gerechtfertigt ist?

Ich finde, dass es nicht gerechtfertigt ist. Die Frauen haben exakt die gleichen Nebenwirkungen. Das liegt sicher an dem Gestagen, das ja immer eine künstliche Substanz ist. Hinzu kommt bei den Frauen das Thrombose-Risiko. Insofern ist das nicht gerecht. Man muss auch sagen, dass 85 bis 90 Prozent der Männer, die an der Studie teilgenommen haben, sehr zufrieden waren.

So geht es ja auch vielen Frauen. Oder sie probieren die Pille aus und wechseln wegen Nebenwirkungen zwischen verschiedenen Präparaten. So könnten es die Männer auch machen. Das ist für mich also kein Argument, aber es war eines für die WHO.

Gibt es Alternativen?

International, zurzeit vor allem in den USA, führt man Untersuchungen zu Gelen mit Testosteron und Gestagen durch. Das wird insgesamt positiver gesehen als die Spritzen. Das Gel könnten die Männer täglich selber auf die Schulter auftragen und der Arzt müsste nicht alle acht bis zwölf Wochen eine Spritze verabreichen. Ich denke, das ist die Methode, die sich durchsetzen könnte.

Die Forschung daran ist relativ weit gediehen und das Gel scheint genauso gut zu funktionieren wie die Spritzen. Darin ist ein Gestagen, das kaum oder keine Nebenwirkungen zu verursachen scheint.

Es gibt aber auch zwei andere, komplett künstliche Substanzen, die zurzeit untersucht werden. Für sie konnte bislang gezeigt werden, dass sie die für die Spermienbildung zuständigen Hormone aus der Hirnanhangsdrüse unterdrücken. Das ist ein gutes Zeichen. Weitere Studien dazu sind in Planung. An ihrem Ende könnte die Entwicklung von zwei Pillen für den Mann stehen.

Womit müssten Männer nach der Einnahme eines hormonellen Verhütungsmittels rechnen?

Hormone aus der Hirnanhangsdrüse werden nicht mehr ausgeschüttet. Das sind die gleichen, die bei der Frau für den Eisprung sorgen. Die Hoden stellen kein Testosteron und keine Spermien mehr her. Die Spermienflüssigkeit kommt zum Teil aus dem Hoden, aber das Ejakulat kommt zum grossen Teil auch aus den Samenbläschen neben der Prostata und aus der Prostata selbst. Ejakulat ist also weiterhin da. Sonst könnte man den Erfolg der Verhütungsmethode in Studien auch gar nicht überprüfen.

Pharmakonzerne investieren nicht in Entwicklung

Warum dauert die Entwicklung von hormoneller Verhütung für Männer so lange?

Die Daten aus der 2016 veröffentlichten WHO-Studie zur Spritze für den Mann werden noch immer ausgewertet, um zu sehen, wer genau die Nebenwirkungen hatte. Vielleicht kann man das an Faktoren wie Gewicht, Ernährung oder Herkunft vorhersehen. International waren die Nebenwirkungen nämlich sehr unterschiedlich und daran forschen wir gerade.

Die langsame Entwicklung könnte also unter anderem am Arbeitstempo der WHO liegen. Aber auch die Finanzierung der Forschung spielt eine Rolle: Zurzeit kommt das Geld vom National Institute of Health, das ist sozusagen die Gesundheitsbehörde der USA, und von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie der Bill Gates Foundation. Es kommt aber nicht von Pharmakonzernen, wie es bei der Pille für Frauen der Fall war. Sie haben das Interesse an der Entwicklung verloren beziehungsweise wollen sich weiterhin auf die Pille für die Frau konzentrieren.

Das Industrieinteresse ist also nicht da und die Gesundheitsorganisationen ordnen dem Thema auch nicht die grösste Priorität zu. Generell gibt es auch nicht so viele Menschen, die an hormoneller Verhütung für den Mann forschen. Schwierig ist die Entwicklung einer solchen Verhütungsmethode aber eigentlich nicht. Das Prinzip ist ja jetzt klar.

Als einen möglichen "Gamechanger" der Verhütung beschreiben einige Medien zurzeit die Entdeckung, dass das Enzym Adenylylcyclase bei Mäusen die Bewegung der Spermien verhinderte. Wie schätzen Sie diese aktuelle Forschung ein? Könnte es eine nicht-hormonelle Alternative für den Mann sein?

Da ist das Problem: Menschen sind keine Mäuse. Das in den Studien entdeckte Enzym Adenylylcyclase (sAC) findet sich bei Mäusen tatsächlich nur auf den Spermien, bei Menschen aber auch in den Herzmuskelzellen. Würden Männer es einnehmen, müsste man mit einem Absinken des Blutdrucks oder Herzrhythmusstörungen rechnen. Das ist aber nur eine Theorie, weil es bei Menschen noch nie ausprobiert worden ist.

In der Maus waren die Spermien nach der Gabe von sAC für zweieinhalb Stunden nicht beweglich. Das mag für eine Maus ausreichen, aber in der Frau leben die Spermien noch bis zu drei Tage und können so lange eine Eizelle befruchten. Sie haben also eine viel längere Aktivität. Somit weiss man, dass diese Mittel, die entwickelt werden, keine Pille für den Mann sind.

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Letzten Endes wäre es auch wieder ein Präparat, das die Frau nehmen muss, da es die Spermien unbeweglich macht. Nimmt es der Mann, würde die Wirkung nach Stunden nachlassen und die Samen bewegen sich dann in der Frau fort. Wenn überhaupt, könnte es also eine Pille für die Frau sein. Lokal wirksame Mittel, die Spermien in ihr unwirksam machen, gibt es aber schon lange.

Über den Experten: Prof. Dr. Michael Zitzmann ist Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Andrologie, Diabetologie und Sexualmedizin (FECSM). Er arbeitet als Oberarzt am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums/Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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