Manche verbinden mit der Mathematik die Erinnerung an qualvolle Schulstunden, für andere ist sie ein Faszinosum und die vielleicht grösste Errungenschaft der Zivilisation. Beschäftigt man sich mit ihr, streift sie allerdings schnell ihr staubtrockenes Gewand ab.

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Die Mathematik ist so alt wie das Bestreben des Menschen, in der Natur nach Mustern Ausschau zu halten. Uralt also. Und auch wenn es bei der Mathematik streng logisch zugeht, bietet ihre lange Geschichte doch auch Raum für allerlei überraschende und skurrile Thesen.

These Nummer 1: Der Mensch kann intuitiv nur Zahlenmengen von vier bis fünf einschätzen

Nachweislich handelten bereits die Menschen in der Steinzeit miteinander und wogen den Wert der zu tauschenden Waren gegeneinander ab. Speerspitze gegen Mammutzahn? Das Problem, mit dem sich die Menschen damals wie heute konfrontiert sahen: Sind zu viele Waren im Spiel, wird es unübersichtlich und wir können ihre Menge nicht mehr gut einschätzen.

Wissenschaftler bezeichnen die Fähigkeit, die Anzahl von mehreren Dingen zu erfassen, ohne diese abzählen zu müssen, als Simultanerfassung. Auch uns würde die zahlenmässig genaue Erfassung eines Berges von Wolfsfellen überfordern. Denn mit der Simultanerfassung ist bereits ab einer Zahlenmenge von vier bis fünf Stück Schluss.

In diesem Punkt ist die Evolution also kein bisschen voran gekommen. Um dennoch nicht übers Ohr gehauen zu werden, entwickelte der findige Steinzeitmensch Hilfsmittel. Ein abstraktes Symbol musste her. Das konnte ein Steinchen oder ein Stöckchen pro Fell sein oder auch eine Kerbe, die man für jede Ware in einen Knochen ritzte. Voilà! Die erste Rechenmaschine der Welt war geboren.

These Nummer 2: Pythagoras liess einen Schüler hinrichten, der seine Logik in Frage stellte

a² + b² = c²: Den Satz des Pythagoras lernt jeder Schüler. Doch wer war der Mann, der einen der fundamentalen Sätze der euklidischen Geometrie festlegte? Der antike Philosoph, Mathematiker und Astronom Pythagoras von Samos wurde um das Jahr 570 v. Chr. geboren.

Über sein Leben ist wenig bekannt. Fakt ist, dass Pythagoras eine Schule gründete, deren Mitglieder sich "Pythagoreer" nannten. Aus heutiger Sicht würde man wohl sagen, dass die Schule sektenhafte Züge trug, denn das gesamte Leben der Anhänger war reglementiert.

Eine Legende besagt, dass Pythagoras einen seiner Schüler namens Hippasos von Metapont ertränken liess, nachdem dieser die Existenz inkommensurabler Strecken entdeckt und damit die Logik seines Lehrers in Frage gestellt hatte. Historisch belegt ist das allerdings nicht.

Anderen Quellen nach sorgte Hippasos für Streit unter den Pythagoreern, wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verunglückte tödlich im Meer. Rechthaberisch soll Pythagoras aber in jedem Fall gewesen sein. Seine Reden soll er stets mit dem folgenden Satz begonnen haben: "Nein, bei der Luft, die ich atme, nein, bei dem Wasser, das ich trinke, ich gestatte keinen Widerspruch zu dem, was ich sage."

These Nummer 3: Ist Mathematik die Sprache der Natur?

Das Prinzip der Symmetrie durchzieht die gesamte Natur, sei es die perfekte Form einer Schneeflocke oder der Flügel eines Schmetterlings. Auch Blumen haben eine ganz bestimmte Anordnung der Blütenblätter. Und die Zahl ihrer Blütenblätter gehört erstaunlich oft zu einer Menge von Zahlen, die Leonardo Fibonacci, ein italienischer Mathematiker, der im 13. Jahrhundert lebte, ermittelt hat.

Die Folge, die bis heute als Fibonacci-Zahlen bezeichnet wird, geht so: Man beginnt mit den natürlichen Zahlen 1 und 2 und ermittelt die folgende Zahl durch die Addition der beiden: 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89 und so weiter. In der Natur treten die Fibonacci-Zahlen gehäuft auf. Gänseblümchen etwa können mit 34, 55 oder 89 Blütenblätter gefunden werden. Sind die Gesetze des Universums also in der Sprache der Mathematik geschrieben?

These Nummer 4: Das Higgs-Teilchen wurde mithilfe der Mathematik vorhergesagt

Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die Welt der kleinsten Teilchen und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Doch das Modell der Wissenschaftler war jahrzehntelang unvollständig, eine Frage blieb offen: Wie bekommen die Teilchen ihre Masse? Um dies erklären zu können, haben Wissenschaftler 1964 mathematisch ein neues Elementarteilchen vorhergesagt.

Im Jahr 2012 konnte das Higgs-Teilchen, ein elektrisch neutrales Austauschboson, tatsächlich durch Beobachtungen am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf nachgewiesen werden. Für die Entdeckung des "Gottesteilchen" erhielten der Brite Peter Higgs und der Belgier François Englert 2013 den Physik-Nobelpreis.

These Nummer 5: Gleicht unsere Realität einem Computerspiel?

Max Tegmark, Physiker und Wissenschaftsphilosoph vom Massachusetts Institute of Technology in Boston, glaubt, dass die Mathematik die Realität ähnlich einem Computerspiel steuert. Das Universum hätte demnach eine mathematische Struktur und nur mathematische Eigenschaften. Ist unser Universum also nur ein grosses Computerspiel? Vielleicht. Denn diese These ist unter Mathematikern heftig umstritten und wird kontrovers diskutiert.

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