- 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer - das ist der aktuelle Grenzwert bei der Zulassung von Pkw-Neufahrzeugen.
- Moderne Diesel schaffen das nur mit viel Technik, zudem sind auf den Strassen noch immer einige ältere Diesel unterwegs.
- Wie viele sind es und wie stark überschreiten sie den Grenzwert?
Der Diesel-Skandal in Deutschland ist für die Autohersteller noch nicht ausgestanden. Nach Einschätzung von Jürgen Resch reichen die Software-Updates nicht aus - im Gegenteil, sie würden weiterhin illegale Abschalteinrichtungen enthalten, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) im Gespräch mit unserer Redaktion.
Ihm zufolge reduziert die Motorsteuersoftware die Abgasreinigung bei Temperaturen unter 10 Grad Celsius oder auch bei solchen Motordrehzahlen und Beschleunigungen, die so im Prüflabor nicht getestet werden.
Die DUH führt vor dem Verwaltungsgericht Schleswig mehrere Verfahren, um das Kraftfahrt-Bundesamt zu verpflichten, die temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen.
Im 1. Halbjahr dieses Jahres wird dazu eine Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof (C-873/19) erwartet. Erklären die EU-Richter, dass die Abschalteinrichtungen illegal sind, müssten nach Einschätzung der DUH etwa 5 Millionen ältere Dieselfahrzeuge zurück in die Werkstatt, um die Abgassysteme auszutauschen.
Was bei Diesel-Fahrzeugen das Problem ist
Geht es um Abgasprobleme im Strassenverkehr, fährt der Diesel ganz vorne mit. Der Grund ist nicht unbedingt das CO2, bei dem Klimagas nehmen sich Diesel und Benziner bei gleicher Motorisierung nicht viel.
Aber eben nicht bei den Stickoxiden, die in ihrer Summe aus Stickstoffdioxid (N02) und Stickstoffmonoxid (NO) mit der chemischen Bezeichnung NOx benannt werden. Bei dem besonders für Menschen mit Atemwegserkrankungen gefährlichen Reizgas N02 sind allein Diesel-Pkw für mehr als 60 Prozent der Emissionen im innerstädtischen Strassenverkehr verantwortlich.
Stickoxide können Hustenreiz und Atembeschwerden hervorrufen. Durch die Reizwirkung von NOx kann es zu chronischen Schäden der Lunge kommen. Auch werde eine Zunahme von Herz- und Kreislauferkrankungen beobachtet, warnt das Umweltbundesamt auf seiner Internetseite.
Damit die Schadstoffbelastung in der Luft sinkt, gibt es NOx-Grenzwerte für die Zulassung neuer Autos, bis zur Einführung der Abgasnorm Euro-6d-TEMP bezogen sich die Grenzwerte auf Messungen unter Laborbedingungen. Dass diese Werte teils drastisch von Werten unter Realbedingungen abweichen, hat der Dieselskandal ans Licht gebracht. Und das zeigen auch Messfahrten mehrerer Organisationen wie der Deutschen Umwelthilfe, des Umweltbundesamtes und des ADAC.
Wenige Autos liegen unter gesetzlichem Grenzwert
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gründete im Jahr 2016 das Emissions-Kontroll-Institut (EKI) und veröffentlicht seitdem regelmässig die Ergebnisse der Testfahrten. "Wir wollten die Emissionen im realen Fahrbetrieb messen, also sehen, was passiert auf der Strasse", erklärt DUH-Geschäftsführer Resch.
Bis Mitte des Jahres 2020 testete die DUH in mehr als 2.000 Einzelmessungen mehr als 160 Fahrzeuge der Euro 5 und 6 Abgasnorm, die den Grenzwert von 180 beziehungsweise 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer auf dem Prüfstand halten müssen.
Bei den Euro-6-Dieseln lagen nur 6 von 99 Fahrzeugen unter dem Grenzwert von 80 mg. Die grössten Sünder bei der DUH-Messung waren der Audi A 8 L 4.2 TDI mit 1.422 mg auf 100 Kilometer, das 17,8-fache des Grenzwertes, gefolgt vom Fiat 500X 2.0 (1.380 mg) und dem Renault Scenic 1.6 dCi 110 mit 1.192 mg.
Die Mitarbeiter der DUH sind zudem mit Autos der Abgasnorm Euro 5 über die Strassen gefahren. Der Grenzwert liegt hier bei 180 mg Stickoxid pro Kilometer. Von den bislang 43 getesteten Fahrzeugen schafften nur drei diesen Wert unter Realbedingungen.
Die anderen Pkw lagen bei NOx teils deutlich darüber. Hier fiel besonders der Porsche Cayenne S Diesel mit 2.146 mg auf, gefolgt vom Audi A7 3.0 TDI mit 1.764 mg und dem Volvo XC60 D4 mit 1.741 mg.
Warum die Autos auf der Strasse höhere Werte haben
Bei Diesel-Fahrzeugen der Euro-Abgasnormen 5, 6a, 6b und 6c wurden die Grenzwerte bei der Typprüfung viele Jahre nicht im praktischen Betrieb auf der Strasse gemessen. "Auf der Strasse stossen diese Fahrzeuge daher teilweise noch immer grosse Mengen Stickoxide aus”, sagt Philipp Eichler, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr beim Umweltbundesamt.
Gründe dafür seien vielfältig. So würden Abgasnachbehandlungssyteme für die Bedingungen auf dem Rollenprüfstand im Labor ausgelegt. Das bedeutet aber auch: "Die Abgasnachbehandlung funktioniert nur in einem Teil der im praktischen Betrieb auftretenden äusseren Bedingungen optimal. Das liegt teilweise an den verbauten Komponenten, teilweise lediglich an deren Ansteuerung", erklärt Eichler.
Im Rahmen des Diesel-Skandals gerieten die Abschalteinrichtungen in den Fokus, die anhand von gemessenen Temperaturverhältnissen, Motordrehzahlen, Geschwindigkeit und anderen Parametern die Wirksamkeit der vorgeschriebenen Abgasreinigungssysteme verringern.
Für DUH-Geschäftsführer Resch hat das vor allem einen Grund: Die Hersteller wollten Geld sparen und hätten ungeeignete Systeme verbaut, die nur im Labor im etwa 20 Minuten währenden Rollenprüfzyklus wirksam seien. "Die Hersteller wollten Gewinne maximieren und haben sich europaweit in einem Betrugskartell abgesprochen, um die Diesel-Technologie möglichst preiswert zu halten”, sagt er.
Hohe Abweichungen innerorts und auf Autobahnen
Neben der DUH ist das Umweltbundesamt an Messfahrten beteiligt und hat dazu eine Tabelle im Internet erstellt. Die dort aufgeführten 49 Diesel-Pkw wurden in realitätsnahen Prüfzyklen getestet - unterteilt in Stadtverkehr, Überlandfahrten und Autobahnen, wobei vor allem im Innenstadtverkehr und auf Autobahnen hohe NOx-Werte gemessen wurden.
Bei den Euro-5-Dieseln überschritt am deutlichsten der Fiat Doblo 1.6 Multijet den Grenzwert von 180 mg NOx pro Kilometer mit 1.791 mg. Ebenfalls vergleichsweise hoch fielen die Werte beim Kia Optima 1.7 CRDi ISG (1.362 mg) sowie beim VW Passat 2.0 TDI BMT (919 mg) aus.
Bei den Euro-6-Dieseln war der NOx-Wert beim Renault Grand Scenic 1.6 dCi130 zu hoch (850 mg), gefolgt vom Mazda CX-5 D LP 4WD mit (574 mg) und vom Porsche Macan S Diesel (564 mg).
ADAC-Test: Grenzwerte werden deutlich überschritten
Auch der ADAC testet regelmässig die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen unter Realbedingungen. Bei einer Untersuchung im Jahr 2019 lag der Durchschnittsausstoss von NOx bei Euro-5-Modellen bei 528 mg, also deutlich über dem Grenzwert von 180 mg. Hier waren die Abgaswerte beim Renault Trafic Combi mit 1.500 mg am höchsten, den niedrigsten Wert bei dieser Messung hatte der VW Golf VII 1.6 TDI BlueMotion (135 mg).
Bei den Euro-6-Dieseln schnitt am schlechtesten der Subaru Forester 2.0 D mit über 2.000 mg ab. Zweit- und drittplatzierter im Negativ-Ranking waren der Renault Grand Scenic dCi 160 mit knapp 900 mg und der Dacia Sandero Stepway dCi 90 mit kaum besseren 889 mg. Die Anforderungen der Euro-6-Norm einhalten konnten dagegen der VW T6 Multivan (50 mg), der Land Rover Discovery Td6 (61 mg) und der BMW 118d (69 mg).
Fortschritte erst bei modernen Diesel-Pkw
Die Verschärfung der Grenzwerte zwischen den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 (konkret Euro 6a, 6b und 6c) hat laut ADAC in der Realität zwar eine Verbesserung gebracht, allerdings lag diese unter den Erwartungen. 69 gemessene Euro-6-Modelle zeigten bei Realtests des ADAC im Schnitt einen Stickoxid-Ausstoss von 341 mg pro Kilometer und erreichten damit eine Senkung um 187 mg im Vergleich zu den 528 mg, die bei den Euro-5-Dieseln im Durchschnitt gemessen wurden.
Allerdings liegt bei Euro 6 auch der Grenzwert mit 80 mg deutlich niedriger als bei den 180 mg von Euro 5. Die Abweichung zwischen Grenzwert und Realtest wäre damit vergleichsweise sogar höher, kritisiert der ADAC.
Aber Euro 6 ist nicht gleich Euro 6. Innerhalb der 6er-Norm gibt es wesentliche Unterschiede: Seit 2015 wurden immer höhere Standards eingeführt. Zwar gilt weiter der maximale Grenzwert von 80 mg Stickoxid pro Kilometer, allerdings wurden die zulässigen Abweichungen im Realbetrieb stark reduziert.
So ist beispielsweise bei der Schadstoffklasse Euro-6d-TEMP eine Überschreitung von 168 mg pro Kilometer vom 80er-Grenzwert zulässig und bei Euro 6d nur noch 114 mg pro Kilometer.
Fahrzeughersteller machen Fortschritte
Seitdem die Werte aus Realtests in den Fokus gerückt sind, haben die Fahrzeughersteller bei ihren Abgasreinigungsanlagen Fortschritte erzielt. So hatten 25 vom ADAC getestete Modelle der Klassen Euro 6c und 6d-TEMP einen durchschnittlichen NOx-Ausstoss von 81 mg/km und liegen nah beim Grenzwert von 80 mg.
Aus dem ADAC-Prüfzentrum heisst es dazu: "Mit Einführung der Normen 6c und 6d-TEMP im Jahr 2017 stellte sich somit die Verbesserung ein, die mit der Umstellung auf Euro 6 schon 2015 erwartet wurde.” Auch die Messungen der DUH zeigen das. Von 14 getesteten Diesel-Pkw der Abgasnormen 6d-Temp und 6d blieben elf unter dem Grenzwert, drei überschritten ihn knapp.
Ist das Problem jetzt gelöst? Nicht ganz: Einerseits gelten auch für die Strassenmessungen gewisse Randbedingungen, sodass nicht alle Fahrsituationen von der Regulierung erfasst sind. Und: Für die Dauerhaltbarkeit dieser neuen, Grenzwert-konformen Systeme liegen noch nicht ausreichende und unabhängig erhobene Daten vor.
"Aus dem Schwerlastverkehr haben wir jedoch erste Hinweise, dass die Systeme nicht umfänglich ein Fahrzeugleben lang halten", sagt Eichler vom Umweltbundesamt.
19 Prozent alte Diesel auf Strassen unterwegs
Fortschritte bei modernen Diesel-Pkw sind die eine Seite. Im Strassenverkehr sind aber noch jede Menge Autos mit ganz alten Diesel-Motoren unterwegs. Nach Angaben des Kraftfahrzeugbundesamtes waren von den 48 Millionen in Deutschland insgesamt zugelassenen Fahrzeugen zuletzt mehr als vier Millionen Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 1 bis Euro 4 zugelassen. Dazu kommen nochmal fünf Millionen mit der Abgasnorm Euro 5. Das macht insgesamt etwa neun Millionen Autos mit älteren Dieselmotoren.
Ganz alte Diesel der Abgasnormen 1 bis 4 sind übrigens bei diesem Thema weniger das Problem. Sie haben zwar einen erhöhten Russausstoss und pusten damit relativ viel Feinstaub in die Luft - bis zur Einführung von Euro 4 gab es beispielsweise keinen Russpartikelfilter - aber bei NOx liegen diese Fahrzeuge nicht allzu weit von jenen Modellen der Schadstoffklassen Euro 5 oder 6b entfernt.
"Ein Grund liegt darin, dass zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs die Temperaturen und Drücke beim Verbrennungsprozess immer weiter gesteigert wurden und damit grundsätzlich tendenziell mehr Stickstoffoxide direkt bei der Verbrennung im Motor gebildet werden”, erklärt Philipp Eichler vom Umweltbundesamt.
Damit hätten die Abgassysteme vieler Euro-5- und Euro-6-Diesel höhere Minderungsraten zu erbringen, um niedrige Stickstoffoxidemissionen zu erreichen. "Deshalb haben diese Fahrzeuge bei unzureichender Auslegung oder gar Abschaltung der Abgasreinigung auch sehr hohe Emissionswerte”, sagt Eichler.
Luftqualität verbessert sich
Zumindest eines lässt sich mittlerweile sagen: Die Stickstoffdioxid-Belastung in deutschen Städten ist seit 2019 deutlich gesunken. Damals überschritten nur noch rund 21 Prozent der verkehrsnahen Messstationen den Grenzwert für Stickstoffdioxid.
Im Jahr 2018 waren es noch 42 Prozent. Und dieser deutliche Trend hält an: Im Jahr 2020 wurde der Jahresmittel-Grenzwert für Stickstoffdioxid nur noch an rund drei bis vier Prozent der verkehrsnahen Messstationen überschritten.
Verwendete Quellen:
- Telefonat mit Philipp Eichler, Wissenschaftler vom Umweltbundesamt
- Telefonat mit Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH)
- Umweltbundesamt über die Verursacher von Stickoxid
- Stickoxid-Messungen der Deutschen Umwelthilfe
- Tabelle des Umweltbundesamtes zu Emissionsmessungen (Handbuch für Emissionsfaktoren)
- ADAC-Artikel über neue Abgasnormen
- Abgasmessungen von Euro5- und Euro 6-Dieseln der Deutschen Umwelthilfe
- Abgasmessungen von Euro 5-, Euro 6- und Euro 6d-TEMP Dieseln des ADAC
- Zugelassene Autos in Deutschland - Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes nach bestimmten Kriterien
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.