Der weltweit grösste Teilchenbeschleuniger (LHC) am CERN bei Genf wird massiv ausgebaut. Das Ziel: Der LHC soll bis 2026 noch leistungsfähiger werden, um – so die Hoffnung – weitere Erkenntnisse über die Physik und das Wesen der Materie zu erschliessen.

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Der Large Hadron-Collider (LHC) am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) befindet sich in einem 27 Kilometer langen Ringtunnel; dieser verläuft rund 100 Meter unter der Erde im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich. Der Auftakt zum Ausbau des Teilchenbeschleunigers zum High-Luminosity LHC (HL-LHC) wurde Mitte Juni in beiden Ländern mit einer offiziellen Zeremonie markiert.

Was ist der LHC?

Im unterirdischen LHC, dem weltweit leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger am CERN bei Genf lassen Physiker seit 2010 Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Warum? Diese hochenergetischen Protonenkollisionen, mit denen die Physiker die ersten Nanosekunden nach dem Urknall simulieren, sind von grossem Interesse zur Erforschung der Teilchenphysik, der Dunklen Materie, der Antimaterie sowie anderer Geheimnisse des Universums.

So hatten Forscher im CERN 2012 zum ersten Mal Nachweise des schwer fassbaren subatomaren Higgs-Boson-Teilchens entdeckt. Mit dem sogenannten Higgs-Mechanismus wird erklärt, wie die anderen Teilchen – also die Grundbausteine der Materie – ihre Masse erhalten.

Wie funktioniert der LHC?

Im Innern des 27 Kilometer langen LHC-Rings – 100 Meter unter der Erde – fliegen hochenergetische Protonen, in zwei gegenläufige Strahlen gebündelt, aufeinander zu und werden zur Kollision gebracht, von denen sich die Wissenschaft neue und weitere Aufschlüsse über exotische Partikel erhofft. Die Strahlenbündel enthalten Milliarden von Protonen. Sie bewegen sich fast mit Lichtgeschwindigkeit und werden von Tausenden von supraleitenden Magneten auf einer Kreisbahn gehalten.

Die Strahlen bewegen sich in der Regel in zwei getrennten Rohren, in denen ein Vakuum herrscht, werden aber an vier Interaktionsstellen zur Kollision gebracht, in den Herzen der Hauptexperimente, die unter ihren Akronymen bekannt sind: ALICE, ATLAS, CMS und LHCb.

Detektoren in den Experimenten messen neue Teilchen, die durch die Kollisionen entstehen – bis zu einer Milliarde Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde. Indem sie diese Kollisionen analysieren, vertiefen Physikerinnen und Physiker aus aller Welt unser Verständnis der Naturgesetze.

Wieso wird der LHC aufgerüstet?

Physiker hoffen, dass sich durch eine Erhöhung der Leistung des LHC und der Anzahl der Kollisionen in den grossen Experimenten die Wahrscheinlichkeit erhöht, seltene neue physikalische Phänomene zu entdecken.

Energie ist für Teilchenbeschleuniger ein bedeutender Parameter. Bisher wurden im weltweit leistungsstärksten Beschleuniger Kollisionsenergien von 13 Terra-Elektronen-Volt (TeV) erreicht. Beim CERN kann man lesen, 1 TeV sei die Bewegungsenergie einer fliegenden Mücke. Doch was den LHC so erstaunlich macht, ist, dass er diese Energie in einen Raum zwängt, der etwa eine Milliarde Mal kleiner ist als eine Mücke. Die Forscher hoffen, den LHC ab 2020 mit Kollisionsenergien von 14TeV betreiben zu können, dem Maximum für seine Lebensdauer.

Aber genauso wichtig ist die Kollisionsrate der Teilchen, die so genannte "Luminosität". Ziel ist, die Luminosität um den Faktor fünf bis sieben zu erhöhen, so dass die Datenmenge, die aus den Kollisionen zusammengetragen wird, zwischen 2026 und 2036 bis zu zehn Mal grösser sein wird.

Stark vereinfacht könnte man sagen, dass der künftige Teilchenbeschleuniger die Eigenschaften der Materie noch klarer ausleuchtet als der aktuelle Teilchenbeschleuniger, wie es die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz umschrieb.

"Durch mehr Licht – mehr Kollisionen – werden wir viel besser in der Lage sein, zu sehen, was da sein könnte", erklärte Lucio Rossi, der HL-LHC-Projektleiter.

Welche physikalischen Entdeckungen erhofft man sich im CERN?

Der Ausbau des HL-LHC soll es ermöglichen, die Eigenschaften des Higgs-Boson genauer zu definieren und mit grösserer Präzision zu messen, wie das Teilchen entsteht, wie es zerfällt und wie es mit anderen Partikeln interagiert. Beim CERN heisst es, der Hl-LHC werde in der Lage sein, pro Jahr 15 Millionen Higgs-Boson zu produzieren, statt der 3 Millionen, die 2017 registriert wurden.

Nach Angaben des CERN sollte die Nachrüstung den Forschern auch ermöglichen, Szenarien wie Supersymmetrie, Stringtheorie, Extradimensionen oder Quark-Substrukturen zu untersuchen, die über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehen. Bisher ist das Standardmodell die beste Theorie, um zu erklären, wie das Universum funktioniert.

Wie werden Forscher höhere Luminosität erreichen?

Um die Luminosität zu erhöhen, wollen die Forscher die Teilchenstrahlenbündel an den vier Interaktionsstellen auf noch engerem Raum fokussieren als bisher. Dazu braucht der LHC 130 neue Magnete, darunter 24 supraleitende, fokussierende Quadrupole, um den Teilchenstrahl und vier supraleitende Dipole zu bündeln.

Diese Magnete werden aus Niob-Zinn hergestellt, einer supraleitenden Verbindung, die im Teilchenbeschleuniger zum ersten Mal eingesetzt wird, um höhere Magnetfelder zu erzeugen, als man es mit der bisher verwendeten Niob-Titan-Legierung tun kann.

Zudem werden 16 "Krabben-Höhlen" installiert, um die Strahlenbündel etwas zu verkanten und den Protonen-Paketen einen transversalen, krabbenartigen Schwung zu geben, bevor sie aufeinander treffen, was die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision erhöhen soll.

Wie viel Arbeit ist mit der Aufrüstung verbunden?

Insgesamt müssen mehr als 1,2 Kilometer der aktuellen Anlage durch High-Tech-Komponenten ersetzt werden. An zwei Orten in der Schweiz und in Frankreich wurden die Arbeiten zum Bau von neuen Gebäuden, Schächten, Kavernen und Untergrund-Galerien aufgenommen. Die ganze Modernisierung wird rund eine Milliarde Euro (1,2 Mrd. Schweizer Franken) kosten. Alles in allem sind 29 Institutionen aus 13 Ländern an dem Projekt beteiligt.

Werden der LHC und die laufende Forschung während der Ausbauarbeiten eingestellt?

Während der Tiefbauarbeiten wird der LHC in Betrieb bleiben, mit zwei Unterbrüchen (2019-2020 und 2024-2026) für technische Installationen und Wartungsarbeiten.

Welchen Nutzen bringt der HL-LHC der Gesellschaft?

Neben der Förderung des Potentials für neue physikalische Entdeckungen und der Ausbildung neuer Wissenschafter könnte der HL-LHC zur Entwicklung neuer Technologien führen, vor allem im Bereich Elektrotechnik, wie Supraleiter und Vakuum-Technologien. Supraleiter haben viele Anwendungen, zum Beispiel im Bereich der medizinischen Bildgebung und bei der Behandlung von Krebs. Europäische Firmen prüfen auch die Möglichkeit, Magnesiumdiborid-Kabel, die im HL-LHC eingesetzt werden, für den Energietransport über grosse Entfernungen zu nutzen.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)  © swissinfo.ch

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