Noch ist keine anhaltende Übertragung des Vogelgrippe-Virus H5N1 von Mensch zu Mensch nachgewiesen worden. Doch schon nach Austausch eines Bausteins kann es leichter an menschliche Zellen andocken.
Eine kleine Änderung des von Milchkühen auf Menschen gelangten Vogelgrippe-Virus kann einer Studie zufolge den Grundstein für eine Übertragung zwischen Menschen legen. Das Virus wurde in diesem Frühjahr in den USA erstmals auch in Kühen nachgewiesen und hat sich rasch in Milchkuhbetrieben des Landes ausgebreitet. Bislang ist es zwar von Kühen auf Dutzende Menschen gelangt, doch diese haben laut US-Gesundheitsbehörde CDC keine weiteren Personen angesteckt.
Werde ein Virusprotein, das für das Andocken an Vogel- oder Kuhzellen wichtig ist, an einer bestimmten Stelle geändert, so schalte es auf eine Vorliebe für Menschenzellen um, schreibt das US-Team im Fachjournal "Science". Eine zweite Änderung könne dies verstärken. Die erste Mutation ist nach Expertenangaben bereits kürzlich bei einem Jugendlichen in Kanada nachgewiesen worden. Eine solche Änderung des Bindungsproteins gilt als erforderlich für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Doch zu einer Pandemie gehört noch etwas mehr als das Andocken der Viren an die Zellen des Menschen.
Hintergrund: Impfstoffe gegen Vogelgrippe
- Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) wurden bereits mehrere Impfstoffe gegen Vogelgrippe entwickelt. Weitere, auch mRNA-basierte Impfstoffe seien in Entwicklung. Die Bundesregierung hat bisher keine Impfstoffe gegen die Vogelgrippe zentral beschafft. Das geschehe nur "im Falle einer bestehenden oder drohenden bedrohlichen übertragbaren Krankheit", erklärte das Gesundheitsministerium auf Anfrage. Das aktuelle Risiko für die allgemeine Bevölkerung schätzt die Europäische Seuchenschutzbehörde ECDC als gering ein.
- Fachleute betrachten das Vogelgrippevirus H5N1 jedoch als potenziellen Pandemie-Kandidaten. Das Virus hat in den vergangenen Jahren Millionen Tiere getötet, darunter viele Säugetiere.
- Zahlreiche Unternehmen können neue Grippe-Impfstoffe herstellen, weil sie das zweimal jährlich auch für die saisonalen Impfstoffe machen. Bei Bedarf könnten diese angepasst werden, erklärte das Gesundheitsministerium in Berlin.
Hohe Dunkelziffer wahrscheinlich
Im Jahr 2024 infizierten sich bislang nachweislich 35 Menschen in den USA an Rindern oder deren Milch mit dem H5N1-Virus der Klade 2.3.4.4b, wie aus Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC vom 6. Dezember hervorgeht. Die Symptome wie Bindehautentzündungen und Atemwegsprobleme sind in der Regel mild, sodass eine hohe Dunkelziffer wahrscheinlich ist. Weitere Personen infizierten sich durch Geflügel.
Das Vogelgrippe-Virus, das bei der ersten registrierten Übertragung vom Rind zum Menschen in den USA entdeckt wurde, hatte Andock-Proteine mit einer eindeutigen Bindungspräferenz für Vögel. Auch die Rezeptoren in den Eutern der Kühe, wo sich das Virus besonders stark vermehrt, sind denen von Vögeln ähnlich.
Nun veränderten die Forschenden das Bindungsprotein des Virus im Labor auf verschiedene Weise. In einem Versuch ersetzten sie einen Baustein in einem wichtigen Viren-Bindungsprotein (Hämagglutinin) durch einen anderen, woraufhin das Protein nicht mehr zu einer entsprechenden Andockstelle von Vögeln passte, sondern zu der von Menschen. Konkret wurde eine Aminosäure an Position 226 ausgetauscht, und zwar Glutaminsäure durch Leucin (Glu226Leu).
Die Bindung an den Rezeptor des Menschen sei zwar nicht so stark gewesen wie die des ursprünglichen Virus an Vögel, aber immerhin stärker als die des sogenannten Schweinegrippevirus H1N1 bei der Pandemie von 2009 an Menschen. Das Bindungsverhalten wurde durch das Ersetzen einer weiteren Aminosäure an einer anderen Stelle verstärkt.
Ähnliche Mutationen sind der Studie zufolge von den Grippe-Pandemien 1918, 1957, 1968 und 2009 bekannt, bei denen sich die Viren von Vögeln oder Schweinen an Menschen angepasst hatten.
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Ständige Überwachung nötig
"Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überwachung neu auftretender Mutationen von H5N1-Viren der Klade 2.3.4.4b in Vögeln und Rindern", schreibt das Team um den Erstautor Ting-Hui Lin vom Scripps Research Institute in La Jolla (USA). Die Forschungsgruppe betont in der Studie, dass sie nicht alle Faktoren analysiert habe, die bei einer möglichen Ansteckung von Mensch zu Mensch eine Rolle spielen. Dazu zählen etwa auch das Freisetzen neu gebildeter Viren.
"Die Ergebnisse zeigen, wie leicht sich ein solches Virus so entwickeln könnte, dass es Rezeptoren vom menschlichen Typ erkennt", sagte Lin. Das bedeute jedoch nicht, dass das aktuelle H5N1-Virus allein mit dieser Mutation zwischen Menschen übertragbar wäre.
Im November wurde der Fall eines Jugendlichen in Kanada bekannt, der sich wahrscheinlich durch einen Vogel mit einem H5N1-Virus infizierte und stark erkrankte. Wie das Fachjournal "Nature" berichtete, lassen die spezifischen Mutationen des Virus darauf schliessen, dass diese H5N1-Variante die menschlichen Atemwege besser infizieren kann. Das Virus habe sich möglicherweise in dem Teenager weiterentwickelt.
Gefährdungspotenzial hängt von Anpassungen ab
Unter den Mutationen des Jugendlichen sei auch genau die sogenannte Glu226Leu gewesen, die das Team um Lin untersucht habe, sagte Martin Schwemmle, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg. Auch er betonte, dass noch weitere Anpassungen des Virus entscheidend für sein Gefährdungspotenzial seien.
In den USA sei eine engmaschige Überwachung von Virus-Proben unbedingt erforderlich, sagte Schwemmle. "Nur so kann das Auftreten weiterer Mutationen, die das Gefährdungspotenzial für den Menschen erhöhen, frühzeitig erkannt werden." Dies sei insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Grippewelle mit der Möglichkeit des Austauschs genetischer Informationen zwischen Vogelgrippeviren und Grippeviren des Menschen von Bedeutung. "Es ist auch wichtig, die Infektionsketten bei Milchkühen zu stoppen, um dem H5N1-Virus keine Chance zu geben, sich dadurch indirekt an den Menschen anzupassen."
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation tauchte das H5N1-Virus der Klade 2.3.4.4b im Jahr 2020 auf und verbreitete sich rasch in Afrika, Asien und Europa, ab Ende 2021 auch in Amerika. Es habe eine beispiellose Zahl an Wildvögeln getötet und sich auch unter Meeres- und Landsäugetieren verbreitet. Auch Menschen wurden bereits vor 2024 damit infiziert. (Simone Humml, dpa/bearbeitet von af)
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