In den letzten Wochen haben Turbulenzen wiederholt für unruhige Flugreisen und teilweise sogar zu Zwischenfällen mit Verletzten gesorgt. Wie gefährlich sind diese Phänomene? Wie kann man sich als Passagier schützen? Und was hat der Klimawandel damit zu tun? Ein Experte gibt Auskunft.
Ein Toter, Dutzende Verletzte – das war die Bilanz, nachdem eine Maschine der Singapore Airlines Ende Mai in schwere Turbulenzen geraten war. Nur wenige Tage später ereignete sich ein ähnlicher Vorfall auf einem Qatar-Airways-Flug von Doha nach Dublin, mit zwölf Verletzten. Und gerade Anfang Juli ist eine Boeing auf dem Weg von Spanien nach Uruguay in Turbulenzen geraten, 40 Personen mussten ins Krankenhaus gebracht werden.
Viele Flugreisende sind nun verunsichert. Dabei handelt es sich bei Turbulenzen um ein ganz normales Phänomen, mit dem die Flugzeuge – im Normalfall – ohne Probleme zurechtkommen.
Was genau sind eigentlich Turbulenzen?
Turbulenzen sind unregelmässige Luftströmungen. Man kann sie auch als Luftwirbel bezeichnen. Sie können in etwa die Grösse eines Flugzeuges haben und wirken auf den Rumpf oder die Tragflächen. So entstehen Erschütterungen, die das Flugzeug zum Wackeln bringen können – manchmal so stark, dass es Passagieren Angst machen kann.
Thomas Gerz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beschreibt es so: "Es ist, wie wenn man auf der Autobahn fährt und von einem Moment auf den anderen auf einer Schotterstrasse landet."
In Wolken gebe es immer Turbulenzen, erklärt der Forscher. Deshalb könne man sich auf diese gut vorbereiten. Gefährlicher seien die sogenannten "Clear-Air-Turbulenzen" oder auch Klarluftturbulenzen an einem wolkenfreien Himmel, weil diese unerwartet auftauchen.
Gerz unterscheidet drei Situationen, in den Turbulenzen entstehen:
- Bei der Überströmung von Gebirgen.
- Entlang der Jetstreams, also der Windbänder von West nach Ost.
- In Zusammenhang mit Gewittern.
Nehmen Turbulenzen durch den Klimawandel zu?
Thomas Gerz beantwortet die Frage mit einem deutlichen "Ja". Zum einen könne man davon ausgehen, dass Gewitter – und die damit einhergehenden Turbulenzen – häufiger werden. Vor allem aber könne sich der Jetstream verändern. Wissenschaftler vermuten schon lange, dass das Starkwindband in Zukunft an Kraft verlieren könnte. Das werde vor allem die Routen zwischen Europa und Nordamerika betreffen, so Gerz. Denn auf dieser Strecke kreuzt man den Jetstream gleich mehrmals.
Auch eine Studie im Fachmagazin "Geophysical Research Letters" legt einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und den zunehmenden Turbulenzen nahe. Demnach nahmen starke oder sehr starke Clear-Air-Turbulenzen zwischen 1979 und 2020 um 55 Prozent zu.
Wie gehen die Airlines mit dem Problem um?
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) äussert sich dazu folgendermassen: "Sollten sich Turbulenzen ereignen, melden sie [Piloten] dies der Flugsicherung. Andere Cockpitcrews im selben Luftraum können dann hierauf reagieren. In Absprache mit der Flugsicherung können dann gegebenenfalls Flughöhen oder -routen angepasst und die Crew entsprechend auf die Turbulenzen vorbereitet werden."
Im Normalfall sei es jedoch nicht notwendig, Turbulenzen zu umfliegen, sagt Thomas Gerz. Die Maschinen könnten gut mit den Luftverwirbelungen umgehen. Und doch könnten die zunehmenden Turbulenzen Einfluss auf den Flugverkehr haben. Zum Beispiel würden die Flugzeuge in Zukunft öfter gewartet, Schrauben nachgezogen, Bolzen kontrolliert werden müssen.
Wie verhält man sich bei Turbulenzen als Passagier?
Den Kräften, die bei Turbulenzen in einem Flugzeug wirken, können Passagiere nicht entgegenwirken. Das beste Rezept ist deshalb der gute alte Gurt. Er schützt davor, dass Passagiere bei extremen Vorfällen durch den Raum geschleudert werden.
Das betont auch der BDL in einem Statement gegenüber unserer Redaktion: "Da es (...) auch zu plötzlich und ohne Vorwarnung auftretenden Turbulenzen kommen kann, raten wir den Passagieren, während des gesamten Fluges angeschnallt zu bleiben, selbst wenn die Anschnallzeichen erloschen sind."
Gibt es Flugrouten mit besonders vielen Turbulenzen?
Die gibt es immer dort, wo die Bedingungen günstig sind, damit Turbulenzen entstehen. Also am Rande von Gebirgsketten. Oder auf Routen entlang des Jetstreams Richtung Nordamerika.
Wie erkennt der Pilot Turbulenzen?
Piloten müssen sich auf ihr Radar verlassen. Dabei gebe es, so Thomas Gerz, durchaus leistungsfähigere Instrumente. Eines davon ist das sogenannte "Nowcasting", eine Technologie zur Wettervorhersage im sehr kurzfristigen Bereich. Dabei werden Satellitendaten am Boden aufbereitet und dann an das Flugzeug geschickt.
Ein weiteres Werkzeug wäre das Lidar (Light detection and ranging). Ein Lidar ist eine Art Sensor, der Laserimpulse aussendet. Diese werden von Luftmolekülen zurückgestreut. So erhält man Informationen über die Dichte der Atmosphäre und damit über etwaige Turbulenzen.
Beide Systeme sind aber noch kaum im Einsatz. Und so werden sich Flugzeugpassagiere wohl auf eine Prognose von Thomas Gerz einrichten müssen: "Flüge werden unruhiger werden."
Über den Gesprächspartner
- Dr. Thomas Gerz ist Wissenschaftler in der Abteilung Angewandte Meteorologie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Verwendete Quellen
- Interview mit Thomas Gerz
- Anfrage beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V.
- agupubs.onlinelibrary.wiley.com: Evidence for Large Increases in Clear-Air Turbulence Over the Past Four Decades
- dlr.de: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
- bdl.aero.de: Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft
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