• Jeder hat sich bestimmt schon einmal dabei ertappt, wie er unbewusst beim Zuhören auf einem Blatt herumkritzelt.
  • Was auf den ersten Blick nach blosser Ablenkung und bedeutungslosen Formen aussieht, kann uns helfen, schneller und besser zu lernen.
  • Was genau die Kritzeleien über uns aussagen.

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Kritzeln Sie schon wieder? Ob wir gerade in einem Meeting, im Unterricht, in der Vorlesung sitzen oder vielleicht beim Telefonieren mit dem Stift in der Hand unbewusst zeichnen, wir fühlen uns ertappt, sind verwundert oder es ist uns schlicht unangenehm. Ist es denn ein Zeichen für Langweile oder Ablenkung von dem, was man gerade hört oder sieht?

Hinter seinen Kritzeleien muss man sich jedoch nicht verstecken, im Gegenteil. Sie sind ein erstaunlich wirkungsvolles Denkwerkzeug. Das Phänomen des Kritzelns wird auch von Wissenschaftlern untersucht - und sie warten mit erstaunlichen Ergebnissen auf, wie auch schon "spiegel.de" berichtet.

Was sind Kritzeleien?

Kritzeleien sind spontane Zeichen, die viele Formen annehmen können, von abstrakten Mustern bis hin zu geometrischen Figuren, Landschaften, Menschen oder Gesichtern. Der Kunstpsychologe Georg Franzen, der schon lange die Bedeutung von Kritzeleien erforscht, ergänzt: "Kritzelzeichnungen werden ohne Bedeutungsabsicht und ohne technische Fertigkeiten gefertigt, sie entstehen während der Verfasser einer anderen Tätigkeit nachgeht, sie sind nur teilbewusst. Kritzelzeichnungen sind ein spontaner grafischer Ausdruck von Gefühlsqualitäten."

Studien belegen: wer kritzelt, ist im Vorteil

Mit Kritzeleien oder "Doodeln" (engl.) können wir also nicht nur unsere Zeit verzeichnen, wir können uns laut einer Studie der Wissenschaftlerin Jackie Andrade sogar an mehr Informationen erinnern.

Ihren rund 40 Teilnehmern gab sie die Aufgabe, einem kurzen, langweiligen Telefonat zu folgen, bei dem Personen genannt wurden, die einer Veranstaltung zu- oder abgesagt hatten. Die Hälfte der Probanden durfte parallel dazu zeichnen und speicherte 29 Prozent mehr Informationen ab.

Zeichnen als visualisierte Lern- und Zuhörhilfe

Zur einer Doodle/Kritzelei-Revolution ruft ebenso die Forscherin Sunni Brown auf. Sie plädiert dafür, bei hoher Informationsdichte genau auf diese spontane Visualisierungstechnik zurückzugreifen. "Doodle war nie der Erzfeind der intellektuellen Denkweise. In Wirklichkeit ist es eines ihrer grössten Verbündeten," sagt sie.

Eine Erklärung hierfür ist, dass rund 75 Prozent der Informationen von unserem Gehirn visuell verarbeitet werden, nur ein Viertel wird verbal verarbeitet. Nutzen wir also nur mündliche und schriftliche Informationen, gerät der Informationsfluss schnell ins Stocken, während der visuelle Weg immer noch frei wäre für eine bessere Informationsverarbeitung.

Kritzeln wir und hören gleichzeitig zu, bewegen wir uns auf beiden Bahnen parallel und erhöhen unsere Aufnahmekapazität.

Mit dem Stift in der Hand zum Kritzelkern

Wir lernen also besser und schneller, wenn wir nebenbei zeichnen. Hinter der Tätigkeit selbst steckt ein uraltes Prinzip, auf das Franzen hinweist: "Das Zeichnen ist eine der typischen und kreativen Betätigungen des Menschen. Man kann davon ausgehen, dass schon die Frühformen des Homo Sapiens sich mit einfachsten Mitteln, einem Stock oder Knochen, ausgedrückt haben." Und erweitert das spontane Zeichnen um eine psychologische Dimension: "Kritzeleien, ob gedeutet oder nicht, sind grundsätzlich eine Möglichkeit, sich zu entlasten und aufgestaute Spannung abzuführen oder in ein kreatives "flow" zu gelangen."

Erkenne dich mit deiner Kritzelei selbst

Menschen, Formen oder Kreise? Was sagen unsere Zeichnungen über uns selbst aus, lässt sich der unbewusste emotionale Fingerabdruck deuten?

Ja und nein, sagt Franzen, denn schliesslich handele es sich um eine Möglichkeit des freien Selbstausdrucks. Interpretationsansätze gebe es bei Kritzeleien, deren Bedeutungsinhalt zunächst verschleiert wirke. Einige typische hat er beschrieben und gedeutet.

  • Spiralen

Hier soll es um eine Beschäftigung mit sich selbst gehen. Eine Suchbewegung, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Ein zunächst stillstehender schöpferischer Prozess solle wieder in Gang kommen können. Energien für Problemlösungen sollen aktiviert werden.

  • Gesichter

Gesichter sollen den Wunsch nach Geselligkeit ausdrücken. Bedeutsam könne auch das Verhältnis der Gesichter zueinander sein. Sie könnten dann laut Franzen auch Beziehungsaspekte bzw. Beziehungskonflikte in Partnerschaften usw. symbolisieren. Gesichter stünden dabei für das eigene Identitätsgefühl und für Beziehungswünsche.

  • Verschachtelte Quadrate und Rechtecke

Dies soll den Versuch zeigen, Probleme logisch und rational anzugehen. Quadrate und Rechtecke stünden für Struktur. Wenn sich in einer Zeichnung die Formen überschneiden, soll dies ein Hinweis darauf sein, dass der Zeichner mit einem Problem und in seinem Denken festsitze und mehr auf seine Gefühle achten solle, um zu einer Lösung zu finden.

  • Rahmen

In der Regel wird laut Franzen etwas eingerahmt, wenn es eine besondere Bedeutung hat. Obere Zacken sollen aggressive Abwehr verraten, untere Rundbögen angenehme, freudige Gefühle.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Georg Franzen
  • YouTube: Sunni Brown: Doodlers, findet zusammen!
  • Kunstpsychologie.de: Kritzeleien
  • Spiegel.de: Kreative zeichnen Sterne, Egomanen ihren Namen
  • Studie von Jackie Andrade


Über den Experten:
Professor Dr. Franzen Georg Franzen ist seit 2018 Universitätsprofessor an der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Universität Wien/Berlin. Zudem arbeitet er als Kunstpsychologe und leitet das Institut für Kunstpsychologie. Seine Forschungen gelten auch der Kritzelei, weshalb er im Interview über die Bedeutung, Ursprung und Potenzial von Kritzelzeichnungen gesprochen hat. Mehr über ihn erfahren Sie auf seiner Webseite unter https://www.kunstpsychologie.de.


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