Eine Mehrheit möchte die Zeitumstellung abschaffen. Die EU hat das 2018 schon beschlossen, kann sich aber nicht einigen. Aus Sicht der Wissenschaft spricht alles für die dauerhafte Normalzeit, wie britische Forschende jetzt einmal mehr bestätigten.

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Führende Mitglieder der "British Sleep Society" forderten in einem Beitrag für das "Journal of Sleep Research" die Regierung Grossbritanniens auf, die Zeitumstellung dort abzuschaffen, da sie sich negativ auf den Schlaf und die Gesundheit auswirke. Hauptautorinnen und -autoren des Statements sind Megan Crawford von der University of Strathcylde, Eva Winnebeck von der University of Surrey und Malcolm von Schantz von der Northumbria University.

"Es gibt immer wieder Diskussionen über die Abschaffung der zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung und alarmierenderweise wollen einige diese durch eine ganzjährige Sommerzeit ersetzen", sagt Crawford. "Wir halten dies aus der Sicht der Schlafforschung und der Chronobiologie für einen gesundheitsschädlichen Irrweg."

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Morgens sei die Zeit, in der unsere inneren Uhren das meiste Tageslicht bräuchten, um synchron mit den gängigen Arbeits- und Schulzeiten zu bleiben. Und die Psychologin und Schlafexpertin ergänzt: "Wenn man die Wahl zwischen natürlichem Licht am Morgen und natürlichem Licht am Nachmittag hat, sprechen die wissenschaftlichen Erkenntnisse für das Licht am Morgen."

Fakten liegen seit 2018 unverändert auf dem Tisch

Nach ihrer Umfrage aus dem Jahr 2018, in der sich 84 Prozent von teilnehmenden 4,6 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern gegen die sogenannte Zeitumstellung aussprachen, schlug die EU-Kommission vor, ab dem Jahr 2019 keine Uhren mehr zu verstellen.

Die Länder sollten danach ihre Zeitzone frei wählen dürfen. In Deutschland gilt eigentlich die Mitteleuropäische Zeit, MEZ, auch Normalzeit oder, in Anlehnung an die "Sommerzeit", "Winterzeit" genannt. Der damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) twitterte dennoch: "Das ganze Jahr Sommerzeit? 4 von 5 Menschen in Europa sind dafür. Ich auch." Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich ähnlich geäussert haben. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) – in dessen Ressort die Wahl der Zeitzone damals fiel – hatte sich für eine ganzjährige Sommerzeit ausgesprochen.

Doch war ihnen wirklich klar, worauf sie sich dabei einlassen würden? Ein solcher Entschluss würde bedeuten, dass unsere Uhren ganzjährig die Osteuropäische Zeit, OEZ, anzeigen, die eigentlich für die Ukraine oder Bulgarien gedacht ist. Da wir uns aber nicht in diesen Ländern befinden, drohen vielfältige Nachteile.

"Es wird riesige Probleme geben", warnt auch der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg für den Fall einer dauerhaften Sommerzeit. Seine Wissenschaft, die Chronobiologie, erforscht die inneren Uhren der Lebewesen und deren Bedeutung für die Gesundheit. Im Jahr 2017 erhielten sogar drei Chronobiologen den Medizin-Nobelpreis.

Roenneberg freut sich "riesig über das Vorhaben zur Abschaffung der Zeitumstellung", nennt die Idee einer ganzjährigen Sommerzeit allerdings einen "Cloxit". Wie beim Brexit würde die Gesellschaft hinterher ihr Votum bereuen. Erneut hätten die Bürger "über etwas abgestimmt, über dessen Folgen sie zuvor nicht ausreichend informiert worden sind".

Doch was wären diese Folgen? Wie sähe das Leben in einer ganzjährigen Sommerzeit aus? Was wäre aus Sicht der Chronobiologie die beste Lösung für Deutschland und Europa?

Wir können nur die Uhren verstellen, nicht die Zeit

Unsere Biologie erfasst die Tageszeit, indem sie das Sonnenlicht auswertet. Weil Licht morgens und abends entgegengesetzt wirkt, richten sich unsere inneren Uhren unabhängig von der Jahreszeit nach dem Zeitpunkt, zu dem die Sonne am höchsten Punkt steht, auch Sonnenzeit genannt.

Bei Reisen in andere Zeitzonen gelingt es uns deshalb vergleichsweise rasch, uns anzupassen. Die Phase dazwischen wird Jetlag genannt. Stellen wir indes die Uhren um auf OEZ oder Sommerzeit, ohne zu verreisen, ist das letztlich nur die gesellschaftliche Übereinkunft, das soziale Leben eine Stunde nach vorne zu verlagern. Arbeit und Schule beginnen eine Stunde früher, wir stehen bis zu eine Stunde früher auf.

Doch was etwa in Kiew Sinn ergibt, weil dort auch die Sonne eine Stunde vorauseilt, verstetigt hierzulande die Jetlag-ähnliche Situation und erhöht Gesundheitsrisiken. Die Umstellung der Uhren im Frühjahr kann deshalb auch nicht mit einem Mini-Jetlag verglichen werden. Eine biologische Anpassung an die geänderte Uhrzeit ist kaum möglich.

Sommerzeit raubt Schlaf

85 Prozent der Deutschen lassen sich werktags von einem Wecker wecken. Sie leben in einem Zustand, den Fachleute "sozialen Jetlag" nennen. Ihr Arbeits- oder Schulrhythmus läuft dem biologischen Rhythmus voraus. Sie müssten eigentlich länger schlafen, können oder wollen dies aber nicht und schlafen oft nur am Wochenende und in den Ferien aus (was wichtig und gut ist, aber nur selten genügt).

Früher zu Bett zu gehen, hilft nur selten. Es fällt Menschen schwer, früher als biologisch vorgegeben einzuschlafen, weil der Spiegel des Nachthormons Melatonin dann zu niedrig ist. Das Leben in der Sommerzeit verschlimmert diese Situation, weil wir bezogen auf den Melatoninrhythmus noch früher aufstehen und zu Bett gehen. Diese Fehlentwicklung nun auch auf die Wintermonate auszudehnen, wäre fatal. Roenneberg schätzt, der soziale Jetlag verstärke sich dadurch um 50 Prozent.

Menschen sind verschieden

Der optimale Einschlafzeitpunkt ist individuell verschieden. Gerade den Spättypen oder "Eulen" genannten Menschen, deren Biologie abends spät auf Nacht und morgens verzögert auf Tag umschaltet, schadet die Sommerzeit. Selbst für die meisten Durchschnittstypen beginnt die Arbeit biologisch gesehen während der Sommerzeit zu früh.

"Die Kosten, die sich aus dem Leben gegen die innere Uhr und aus Schlafproblemen ergeben, werden für Deutschland auf fast 60 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt."

Till Roenneberg, Chronobiologe

Deshalb fordern Chronobiologen eine grössere Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Und sie warnen vor der ganzjährigen Sommerzeit: Eine überwiegende Mehrheit der Menschen passt aufgrund unveränderbarer genetischer Voraussetzungen und angesichts der hierzulande verbreiteten sozialen Taktung nicht zu ihr.

Eine ganzjährige Normalzeit hätte hingegen für kaum jemanden gravierende Nachteile. "Die Kosten, die sich aus dem Leben gegen die innere Uhr und aus Schlafproblemen ergeben, werden für Deutschland auf fast 60 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt", sagt Chronobiologe Roenneberg. In einer ganzjährigen Sommerzeit würde die Zahl weiter steigen. In einer ganzjährigen Normalzeit dürfte sie sinken.

Die Jugend sollte ausschlafen

In Deutschland beginnt die Schule für die allermeisten Jugendlichen viel zu früh. Mit Einsetzen der Pubertät verschiebt sich die innere Rhythmik der Menschen. Sie werden für einige Jahre abends später müde und morgens sehr viel später wach. Schlafforscher und Chronobiologen fordern deshalb schon lange einen späteren Schulbeginn zumindest für die Mittel- und Oberstufe.

Eine ganzjährige Sommerzeit würde Deutschland in Bildungsfragen hingegen zurückwerfen: Biologisch gesehen begänne die Schule dann nicht nur von April bis Oktober eine Stunde früher, wie es derzeit der Fall ist, sondern zusätzlich von November bis März. Das Unterrichten zunehmend unausgeschlafener Schüler zu einer Tageszeit, zu der sie noch gar nicht aufnahmefähig sind, wäre dabei noch nicht einmal das einzige Problem: In der ganzjährigen Sommerzeit würde es im Winter morgens extrem spät hell. Das Unfallrisiko auf dem Schulweg dürfte deutlich steigen.

Sommerzeit macht schlechte Stimmung

Auch Kindern und Jugendlichen hilft es meist nicht, einfach früher zu Bett zu gehen. Eltern kennen das: Vor allem nach der Uhrenumstellung im Frühjahr sind Kinder abends zwar zunehmend aufgekratzt, weil immer unausgeschlafener, sie können aber dennoch nicht richtig einschlafen. Bei ihnen zeigt sich am deutlichsten, was ein Leben im falschen Rhythmus bedeutet.

Auf gesellschaftlicher Ebene dürfte der zunehmende chronische Schlafmangel infolge der ganzjährigen Sommerzeit zu mehr allgemeiner Reizbarkeit bis hin zu Depressionen oder depressiven Verstimmungen, aber auch zu mehr Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes führen.

So waren jedenfalls die Erfahrungen, die Russland machte, als ab dem Jahr 2011 die ganzjährige Sommerzeit galt. Auch wenn die dort ermittelten Zahlen bislang nur in Ansätzen wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, so bestätigt der Trend doch die Annahmen aus der Grundlagenforschung. Russland hat rasch reagiert. Dort gilt seit 2014 die ganzjährige Normalzeit.

Neben der überwältigenden Zahl an Indizien aus der Grundlagenforschung gibt es mittlerweile auch erste epidemiologische Daten, die die hier geäusserten Thesen stützen. Bestätigen sich diese Resultate, dürfte das Erkrankungsrisiko in der Gesamtbevölkerung messbar steigen, wenn die Zeitzonen etwa in Form einer dauerhaften Sommerzeit so verschoben werden, dass die Menschen früher zur Arbeit oder in die Schule gehen müssen.

Eine Studie aus den USA etwa ergab, dass dort das Risiko, an Krebs zu erkranken, vom östlichen Rand einer Zeitzone zum westlichen Rand hin ansteigt. Parallel sinkt die Lebenserwartung. Eine mögliche Erklärung könnte der zunehmende chronische Schlafmangel infolge eines vergrösserten sozialen Jetlags sein.

Das Ende der Zeitzonen-Willkür

Zeitzonen sind eigentlich so gedacht, dass die Sonne in ihnen zwischen 11:30 im Osten und 12:30 Uhr im Westen im Zenit steht. Das passt biologisch gut zum sozialen Rhythmus der Durchschnittsmenschen. Leben Menschen zu weit westlich für ihre Zeitzone, etwa in Frankreich oder Spanien, verschieben sich die gesellschaftlichen Aktivitäten meist nach hinten. Nicht umsonst wird in Spanien oft erst um 21 oder 22 Uhr zu Abend gegessen – ein Szenario, das sich in einer dauerhaften Sommerzeit vielleicht auch in Deutschland eines Tages ergeben könnte.

Doch wozu dann das Ganze? Viele Länder dürften die Abschaffung der Zeitumstellung zum Anlass nehmen, ihre Zeitzonenzugehörigkeit zu überdenken. Frankreich und Spanien, aber auch die Beneluxländer sollten in die Westeuropäische Zeit wechseln, die auch in Grossbritannien gilt. Portugal könnte streng genommen sogar noch eine Stunde weiter rücken.

Umgekehrt – durch frühere Arbeitszeiten – könnten hingegen die Menschen im Osten Polens reagieren. Auch sie leben an einer Zeitzonengrenze, nur in die andere Richtung. Würde ganz Polen in die OEZ wechseln, was dort tatsächlich auch gefordert wird, wäre das die schlechtere Lösung, da für die Mehrheit der Polen die MEZ passender ist. Alle, die argumentieren, es solle in der EU eine einzige, einheitliche Zeit geben, seien daran erinnert, dass wir schon jetzt hervorragend mit drei Zeitzonen klarkommen.

Redaktioneller Hinweis

  • Dieser Artikel, der ursprünglich bereits im Jahr 2018 erschien, wurde im Oktober 2024 aktualisiert. Die wissenschaftlichen Aussagen zum Thema mussten dabei nicht geändert werden, denn die Faktenlage ist unverändert eindeutig: Noch immer gibt es keine Belege dafür, dass eine ganzjährige Sommerzeit für die Gesamtbevölkerung gesundheitliche Vorteile hätte. Im Gegenzug wachsen die Hinweise auf mögliche Nachteile. Politisch ist dennoch bis heute (2024) nichts passiert. Der Vorschlag einer Abschaffung der Zeitumstellung wurde von der EU-Kommission zwar nicht zurückgenommen, aber er konnte nicht umgesetzt werden, weil die einzelnen EU-Staaten sich nicht darauf einigen konnten, welche Zeitzonenregelung danach gelten solle. Im Kern geht es um die Frage, ob im Anschluss eine ganzjährige Sommer- oder eine ganzjährige Normalzeit gelten soll.

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Verwendete Quellen

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