Bei den meisten Deutschen klingelt der Wecker vor 7 Uhr. Während manche schon vor dem ersten Klingeln voller Energie aus dem Bett springen, suchen andere verzweifelt die Snooze-Taste. Grund dafür ist die innere Uhr. Doch was ist das eigentlich genau?
Dass wir morgens aufwachen und abends müde werden, wird nicht allein durch das Tageslicht bestimmt. Bei einem Experiment in den 1970er-Jahren, bei dem die Versuchspersonen freiwillig einige Zeit in einem Bunker ohne Licht lebten, zeigte sich: Selbst in völliger Dunkelheit behalten wir - zumindest grob - einen 24-Stunden-Zyklus bei.
Der Grund dafür ist unsere innere Uhr. Die aktuelle Zeitumstellung bedeutet, dass sich diese Uhr anpassen muss, das wirkt sich Experten zufolge negativ aus.
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Gene bestimmen die innere Uhr
"Innere Uhr" ist dabei keine Metapher: Durch ein komplexes Zusammenspiel von Genen und Proteinen wird ein innerer Takt erzeugen, der zahlreiche Abläufe in unserem Körper wie ein Uhrwerk steuert. "Ziel ist, den Körper gewissermassen auf bevorstehende Herausforderungen der Tageszeit vorzubereiten", sagt Gregor Eichele, Chronobiologe vom Max-Planck-Institut in Göttingen.
Einfach ausgedrückt lässt sich die innere Uhr so beschreiben: Durch die Uhren-Gene werden in den Zellen bestimmte Proteine produziert. Diese Uhren-Proteine blockieren die Uhr-Gene – sie verhindern also ihre eigene Produktion. Mit der Zeit werden die Uhren-Proteine wieder abgebaut, sodass der Zyklus von Neuem beginnen kann. Dadurch entsteht in der Zelle ein Rhythmus. "Das lässt sich mit einem Uhr-Pendel vergleichen, das ausschlägt und wieder zurückschwingt - nur auf molekularer Ebene", erläutert Eichele.
Praktisch alle Organismen, auch Insekten, Pflanzen und Pilze, folgen einer inneren Uhr. Und selbst sehr alte Lebewesen wie Cyanobakterien besitzen sie. "Die Gene und Moleküle unterscheiden sich, aber das Prinzip ist immer das gleiche", sagt der Forscher. Das Konzept der inneren Uhr ist also evolutionär hoch konserviert. "Das hat für Organismen offenbar grosse Vorteile, wenn sie über einen biologischen Zeitmesser verfügen."
Fast alle Körperprozesse folgen einem inneren Rhythmus
Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist eine der bekanntesten Funktionen, die von der inneren Uhr gesteuert wird - und bei jedem Menschen tickt sie ein wenig anders:
- Etwa zehn Prozent zählen zum sogenannten Chronotyp "Lerche". Diese Menschen wachen früher auf, werden am Abend allerdings auch früher müde.
- 20 Prozent gehören zu den "Eulen". Sie werden später müde und kommen morgens entsprechend später aus den Federn.
- Die meisten Menschen sind "Tauben". Sie befinden sich in diesem Spektrum irgendwo zwischen den Extremen.
Doch die innere Uhr wirkt weit über den Schlaf-Wach-Rhythmus hinaus. Praktisch jede Zelle, jedes Organ unseres Körpers verfügt über eine eigene innere Uhr. Und die Uhr-Gene steuern sich nicht nur selbst, sondern auch die Aktivität vieler weiterer Gene. "Allein in der Leber gibt es sicher 500 Gene, die von Uhren-Genen gesteuert werden", sagt Eichele.
So wird die innere Uhr mit fast allen physiologischen Prozessen verknüpft. Sie sorgt dafür, dass zu bestimmten Zeiten Hormone ausgeschüttet werden, unser Blutdruck am späten Nachmittag seinen Höchstwert erreicht oder die Darmtätigkeit am Morgen hoch und am Abend verringert ist.
Die "Zentraluhr" im Gehirn wird mit Tageslicht synchronisiert
Damit die verschiedenen Prozesse im Körper nicht alle zeitgleich, sondern koordiniert über den Tag verteilt stattfinden – je nachdem, wann wir sie brauchen – werden die einzelnen inneren Uhren vom Gehirn koordiniert und mit der Aussenwelt synchronisiert. "Die wichtigste Region für die Synchronisierung der inneren Uhren liegt im Hypothalamus, dem suprachiasmatischen Nukleus", erklärt Eichele.
Trifft Licht auf spezielle Zellen der Netzhaut unserer Augen, leiten sie dieses Signal über direkte Nervenverbindungen zum Hypothalamus weiter. Dadurch wird unsere "Zentraluhr" auf den tatsächlichen 24-Stunden-Rhythmus der Natur "geeicht". Denn unsere innere Uhr geht tatsächlich etwas länger als 24 Stunden - deshalb bezeichnet man sie auch zirkadianen Rhythmus, aus dem lateinischen "circa" für ungefähr und "dies" für Tag. "Wenn sich die innere Uhr nicht mit dem Tageslicht synchronisieren würde, würden wir nach wenigen Tagen aus dem Rhythmus mit der Natur geraten", sagt der Forscher.
Durch diese Synchronisierung mit der Aussenwelt ist es auch möglich, dass sich unsere innere Uhr bei Fernreisen an den neuen Tag-Nacht-Rhythmus vor Ort anpassen kann. Das geschieht allerdings nicht sofort. Als Faustregel gilt: Bei einer Stunde Zeitverschiebung dauert die Anpassung der inneren Uhr einen Tag. Bis innere Uhr und äussere Tageszeit wieder in Einklang sind, leiden wir unter einem Jetlag.
Mit Tageslicht lässt sich aus einer Eule zwar keine Lerche machen. In gewissem Rahmen lässt sich die innere Uhr aber durchaus verstellen. Wer am Morgen viel Tageslicht abbekommt und am Abend blaues Bildschirmlicht meidet, kann seine innere Zeit auf "früher" stellen. Dann kommt man morgens ein bisschen leichter aus dem Bett.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Gregor Eichele ist Molekularbiologe und war bis zu seiner Emeritierung 2021 Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und leitete dort die Abteilung "Gene und Verhalten". Als Wissenschaftler beschäftigte er sich unter anderem mit dem zirkadianen Rhythmus.
Verwendete Quellen
- Telefoninterview mit Prof. Dr. Gregor Eichele
- Statista.de: "Durchschnittliche Aufstehzeit an Arbeitstagen und an arbeitsfreien Tagen in Deutschland im Jahr 2017"
- Max-Planck-Gesellschaft: "Chronobiologie: Innere Uhren im Takt"
- Max-Planck-Gesellschaft: "Chronobiologie: Das genetische Netzwerk der zirkadianen Uhr"
- Chronobiology.com: "Chronobiologie: Die Wissenschaft der Zeit"
- National Institute of General Medical Sciences: "Circadian Rhythms”
- Universität Lübeck: "Zirkadianer Rhythmus bei Therapie der Fettleber"
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